Die Internate müssen heute um Schüler ringen. Welche Wege gehen sie daher und welche Spezialisierungen liegen im Trend?
Oft in reizvoller Umgebung am Meer oder in den Bergen gelegen, haben Internate in Deutschland schon immer polarisiert. Die einen sehen die gut 250 deutschen Internate als Hort für die verzogenen Sprösslinge einer wohlhabenden, vermeintlichen Elite, wo teils Drogen ein Problem sind. Die anderen sehen den Besuch eines Internats als Sprungbrett für eine Karriere oder dort eine bessere individuelle Förderung ihres Kindes mithilfe einer besseren finanziellen Ausstattung. Das ist ihnen auch Jahresbeiträge von 27.000 bis 45.000 Euro wert. Warum soll ein Kind in einem Internat leben, das heißt in einem Wohnheim, das eng mit einer Schule verbunden ist und pädagogisch betreut wird?
Wegen PISA-Schock, maroder Schulgebäude und Stundenausfall ins Internat?
Ein Teil der Eltern ist seit dem PISA-Schock mit dem staatlichen Regelschulsystem unzufrieden. Daran stört sie eine chronische Unterfinanzierung, marode Schulgebäude und Stundenausfall. Auch mangelnde individuelle Betreuung durch einen schlechten Personalschlüssel wird beklagt. Manche Eltern wollen, dass diese Probleme die Politik lösen soll. Daher ist Bildung ja auch ein Schwerpunkt fast aller Wahlen der letzten Jahre in Deutschland gewesen. Ein anderer Teil der Eltern erwägt eine „Flucht“ in Internate oder Privatschulen.
Imagegründe: man will zur Elite gehören
Manche Eltern denken, es sieht auf dem späteren Lebenslauf ihres Kindes gut aus, wenn es ein gutes Internat erfolgreich absolviert hat. Doch was macht ein gutes Internat aus? Durch preisliche Exklusivität versuchen manche Nobelinternate eine wohlhabende „Elite“ anzusprechen, für die Image alles ist. Manche Eltern der seit der Jahrtausendwende abstiegsbedrohten Mittelschicht definieren sich vor allem über den Erfolg ihres Kindes in Ausbildung und Beruf. Daher ziehen diese ehrgeizigen Eltern auch ein Internat, am besten ein vermeintliches „Eliteinternat“ in Betracht – bis an die Grenze ihrer finanziellen Belastbarkeit. Denn man will dadurch auch zur „Elite“ gehören.
Aber: die teuersten Internate sind nicht die besten und damit nicht die echte Internatselite im Sinne von Qualität. Der Name ist nicht alles. Die Qualität eines Internats steht und fällt mit dem Vorliegen eines motivierten pädagogischen Teams, das nach einem überzeugenden pädagogischen Konzept unterrichtet – im Sinne einer Corporate Identity des Internats und trotzdem auf den einzelnen Schüler bezogen. Dafür sind eine gute materielle Ausstattung vonnöten und Fachleute, die das Konzept erstellen, laufend überprüfen und bei Bedarf anpassen.
Auch ist es wichtig, dass die Internatsschüler sorgfältig und durchdacht ausgewählt werden. Mehrere Schulversager halten eben ihre Mitschüler auch in noch so kleinen Gruppen mit noch so vielen Lehrkräften auf. Manche internatsinteressierte Eltern sind von den prominenten Namen ehemaliger Schüler der einzelnen Internate wie Hildegard Hamm-Brücher, Albert Darboven und Klaus von Dohnanyi beeindruckt. Führungskräfte, Politiker und Diplomaten gingen traditionell gerne auf Internate, am liebsten auf die vermeintlichen „Eliteinternate“, und schicken teilweise heute noch ihre Zöglinge dahin.
Andere Eltern meinen, dass durch das enge Zusammenleben mit anderen Schülern und oft auch Pädagogen die Sozialkompetenz ihres Kindes verbessert wird. Dieses Motiv wird oft auch von den Internaten beworben. So will die bekannte Jesuitenschule Kolleg St. Blasien „junge Menschen aus christlicher Weltsicht … zum Dienst an Gesellschaft und Kirche in freier Verantwortung hinführen … [und] Schüler zu gebildeten und verantwortungsbewussten „Menschen für Andere“ erziehen.“
Dieses oder ähnliche Leitbilder anderer Internate müssen aber auch mit Leben gefüllt werden, sonst bleiben sie reine Leerformeln der Eigenwerbung. So sollen die Schüler einiger Internate soziale Dienste erbringen wie in den Bereichen Umwelt, Gesundheit oder Ökologie bzw. in Schulgarten, Wetterstation oder Schülerzeitung.
Reformpädagogischer Ansatz wie in Salem
Andere Eltern bevorzugen einen speziellen reformpädagogischen Ansatz. Ein gutes Beispiel dafür sind die „Sieben Salemer Gesetze“ des bekanntesten deutschen Internats Schule Schloss Salem.
Die reformpädagogischen Inhalte werden von den betreffenden Internaten unterschiedlich definiert. Oft folgt daraus eine ganzheitliche, frühe musische Ausbildung für die Internatsschüler.
Spezialinternate für Musik und Fremdsprachen
Wer sein Kind besonders in Musik fördern will, schickt es in ein entsprechendes Schwerpunktinternat. In manchen solcher Internate muss jeder Schüler ein Instrument erlernen und spielen. Ein institutseigener Chor oder ein Orchester ist teils vorhanden. Immer mehr Internate bieten aufgrund der Globalisierung der Weltwirtschaft eine frühe fremdsprachliche Förderung oder gar eine zweisprachige Ausbildung an. Dass damit ein Schüler- und Lehreraustausch zur Förderung der interkulturelle Kompetenzen durch Kooperation mit Schulen im Ausland verbunden ist, versteht sich von selbst.
Manche Eltern wollen ein Internat christlicher Ausprägung, wie das Internat der Benediktinerabtei Ettal oder das genannte St. Blasien. Historisch wurde durch eine solche konfessionelle, meist katholische Ausrichtung, der Schüler auf einen priesterlichen Dienst vorbereitet. Dieser Zweck ist jedoch stark auf dem Rückzug, parallel zum Bedeutungsverlust der Religion im öffentlichen Leben. Auch müssen religiös orientierte Erziehungsstätten sich ihre Akzeptanz nach den diversen bekanntgewordenen Missbrauchsfällen erst wieder durch konsequentes und transparentes Vorgehen hart erarbeiten.
Spezialisierung der Internate auf Selbstvermarktung der Schüler, Handwerk oder Sport
Karrierebewusste Eltern wollen, dass ihr Sprössling auf einem Internat moderne Managementmethoden für kommende Führungskräfte erlernen soll. So bieten das Internat Stiftung Landschulheim am Solling, Holzminden und andere Internate Kurse an, wie der Schüler sich am besten „selbst verkaufen“ und sich und seine Ideen wirkungsvoll präsentieren kann. Rhetorik, Selbstmanagement und analytisches Denken sind für die auserkorenen jung-dynamischen Manager von morgen natürlich dabei.
Manche Internate fördern in unserer technisierten Welt gerade handwerkliche Fähigkeiten. So kann der Schüler in entsprechenden Werkstätten und Ateliers Möbel, Schmuck und Töpferware herstellen. Andere Internate bieten aufgrund ihrer geografischen Lage Sport an. So gibt es Segelinternate mit entsprechenden Revieren wie Salem nahe des Bodensees oder Louisenlund an der schleswig-holsteinischen Schlei. Oder der Schüler kann in bergnahen Internaten wie in der Benediktinerabtei Ettal Ski fahren und klettern.
Es gibt auch einen Trend hin zu reinen Sportinternaten, vor allem in Ostdeutschland. Teils werben diese mit der Auszeichnung „Eliteschulen des Sports“, etwa die Sportschule Friedrich Ludwig Jahn in Potsdam, die mit dem regionalen Olympiastützpunkt verbunden ist. Neuerdings bieten manche Internate eine Rundumbetreuung für lerngestörte Schüler, Störer oder gar Gewalttäter an. Diese Einrichtungen im Sinne des Allgemeinwohls werden oft vom Staat betrieben.
Der allgemeine Trend geht eher weg von Internaten und in kleinerem Umfang hin zu den genannten Spezialinternaten. Die Zeiten, dass auf dem Lande keine qualitativ hochwertige Schulausbildung angeboten wurde, sind seit den 1960er Jahren und insbesondere seit der Einflussnahme der 68er-Bewegung auf die Schulpolitik vorbei („Chancengleichheit“).