Pestwurz – pflanzliches Heuschnupfen-Mittel mit Zukunft . Gegen alles ist ein Kraut gewachsen. Das behaupten Anhänger der Pflanzenheilkunde schon seit Jahrhunderten und haben seit Beginn der chemisch definierten Pharmakologie oder modernen Arzneimittellehre für kontroverse Diskussionen gesorgt. Während die einen sich auf die Erfahrungen mit dem Kräuterschatz zur Behandlung fast aller Leiden berufen, zählt für die anderen nur der chemisch definierte Beweis der Heilkraft. Auf der Suche nach Therapiealternativen ist in den letzten Jahren zu beobachten, dass traditionelle Pflanzenkunde und moderne Medizin gemeinsame Wurzeln entdecken. Die Pharmaindustrie sucht fieberhaft nach neuen Wirkstoffen gegen moderne Zivilisationskrankheiten. Nicht nur in fernen Urwald- und Wüstenregionen ist man fündig geworden, sondern auch in hiesigen Regionen.
Rote Pestwurz enthält wirksame Anti-Allergie-Substanzen
Als ein gelungenes Beispiel gilt die therapeutische Anwendung der Roten Pestwurz (Petasites hybridus). Die Verwandte des Huflattichs gehört zur Familie der Korbblütler. Verwendet wurden Wurzeln und Blätter. Als Wirkstoffe wurden Petasine identifiziert, die die Bildung bzw. Freisetzung von Entzündungsstoffen wie Leukotriene und Histamin hemmen. Nachteilig für die allgemeine Nutzung der Pestwurz ist der geringe Gehalt von krebserregenden Substanzen (Pyrrolizidinalkaloide).
Pestwurz ist ein seit dem Altertum bekanntes Heilmittel
Diuskurides, der berühmteste Pharmakologe des Altertums, verwendete Pestwurzblatter zur Wundbehandlung. Das Heilkraut wurde im Mittelalter – leider erfolglos – wohl auch gegen die Menschen dahinraffende Pest eingesetzt und kam so zu seinem Namen. Nach mehr oder wenigen erfolgreichen traditionellen innerlichen und äußerlichen Behandlungen mit Blätter- und Wurzel-Extrakten bei u.a. Migräne, Husten, Hauterkrankungen und Magen-Darm-Störungen stand Pestwurz als Heilpflanze nicht an erster Stelle.
Neuentdeckte Anwendung bei Heuschnupfen
Heute hat man die Pflanze wiederentdeckt. Ein Extrakt von Pestwurzblättern scheint sich auch gegen eine neue Geißel der Menschheit – Allergie – zu bewähren.
Möglich wurde die Pestwurz-Allergie-Behandlung mit der Entwicklung eines giftfreien und wirkstoffreichen Extraktes der wasserliebenden Pflanze gegen fließende Nasen. Der Schweizer Apotheker Olivier Thomet klärte die entzündungshemmenden Pestwurz-Wirkungen bei Pollen-Allergien auf und erhielt dafür unter anderem den Alfred-Vogel-Forschungspreis 2001. Das hat auch beim schweizerischen Phyto-Pharma-Unternehmen Zeller Interesse geweckt, dem es gelang, mittels schonender CO2-Verwendung die krebserzeugenden Substanzen aus dem Heilpflanzenextrakt zu entfernen. Zeller ließ den Extrakt als Ze 339 (Petasol butenoate complex) patentieren und auf 8 mg Petasine pro Tablette standardisieren. Mit Entfernung der Giftstoffe und Konzentration der Wirkstoffe mittels Züchtung einer speziellen Sorte – dem Klon Petzell – war die Basis geschaffen, das Heilmittel beim Menschen zu testen.
Wissenschaftliche Studien belegen die Wirksamkeit
Eine erste – im Auftrag des Herstellers durchgeführte – multizentrische, doppelblinde, randomisierte Studie wurden 2002 an der Schweizer Allergieklinik in Landquart von Andreas Schapowal und Mitarbeitern durchgeführt, wobei man nach zweiwöchiger Therapie eine dem als Goldstandard bezeichneten Antihistaminikum Cetitizin (Zyrtec®) vergleichbare Wirkung feststellte. Im Gegensatz zu manchem Antiallergiemittel machte Ze 339 nicht müde und schien auch wegen geringerer Nebenwirkungen durchaus vielversprechend.
In den folgenden Jahren veröffentlichten die Forscher weitere placebokontrollierte Studien. 2004 wurden an 168 Patienten dosisabhängige Untersuchungen durchgeführt, 2005 nahmen 330 Heuschnupfen-Patienten aus 11 Gesundheitszentren teil. Als Vergleichsarzneimittel wurde Fexofenadin (Telfast®, ein Antihistaminikum der dritten Generation) getestet. Beide Wirkstoffe verbesserten signifikant sowohl die Gesamt- wie auch die Einzelsymptome Niesen, juckende Nase, juckende/gerötete Augen und Fließschnupfen.
Da die aufwändigen Studien mit Ze 339 im Auftrag des Herstellers durchgeführt wurde, wurden Forderungen nach unabhängiger Forschungen geäußert. Im April 2011 ist eine Vergleichsstudie mit dem neuen Antihistaminikum Desloratadin (Aerius®), das keine sedierenden Wirkungen hat, veröffentlicht worden. Forscher des Zentrums Allergie & Umwelt (ZAUM) des Helmholtz Zentrums München und der Technischen Universität München stellten bei Ze 339 im Vergleich mit Desloratadin und Placebo eine bessere Wirksamkeit bei der Linderung verstopfter Nasen und Senkung der Entzündungsstoffe IL-8 und Leukotrien B4 fest. „Die Daten suggerieren auch einen präventiven Effekt, der weiter untersucht werden muss“, so ZAUM-Leiter Carsten Schmidt-Weber. Petasine scheinen in der Lage zu sein, den Nasensekretfluss und Juckreiz bei Heuschnupfen nachhaltig zu bremsen. Das bedeutet für viele Pollenallergiker eine freie Nase und verbesserte Atmung.
Eine Zulassung besteht bisher nur für die Schweiz
In der Schweiz ist der Pestwurz-Extrakt Ze 339 seit 2003 zur verschreibungspflichtigen Behandlung von Heuschnupfen (saisonale allergische Rhinitis) zugelassen. Ze 339 ist in Tesalin® N und Pollivita® Filmtabletten enthalten und auf 8 mg Petasine standardisiert. Zur Herstellung werden ausschließlich die Blätter der Art Petzell verwendet. Um demnächst auch die Verschreibung auf dem deutschen Markt zu ermöglichen, müssen weitere Studien durchgeführt werden. Für andere Heilpflanzen wie Indisches Lungenkraut und Tragant (Astragalus) wird eine Arzneimittelzulassung nicht angestrebt.
Möglicherweise steht nach Zulassung ein neuartiges pflanzliches Arzneimittel zur Verfügung, das Heuschnupfen-Symptomen bereits vorbeugt und diese auch wirksam unterdrückt – ein deutliches Signal für eine verbesserte Lebensqualität von Allergikern.
Eine Sammlung und Anwendung der Wildpflanze Pestwurz sowie die innerliche Selbstbehandlung mit Kräuterdrogen sollte wegen der lebergiftigen Pyrrolizidinalkaloide unterbleiben.