Die Angst vor menschlicher Nähe. In der tiefenpsychologischen Studie „Grundformen der Angst“ beschrieb Fritz Riemann anschaulich Ausprägung und Entwicklungsaspekte schizoider Persönlichkeiten.
Die schizoide Persönlichkeit beschrieb der Psychologe und Psychotherapeut Fritz Riemann (1902-1979) in seiner bekannten tiefenpsychologischen Studie zu den Grundformen der Angst als einen Menschen, der sich übertrieben vor Abhängigkeiten fürchtet und ständig um Abgrenzung seines “Ichs” bemüht ist.
Der schizoide Mensch sieht sich als “das Maß aller Dinge”. Er vermeint nur allein zu wissen, was richtig und gut für ihn ist. Der Psychologe beschreibt ihn als scharfen Beobachter, der seine Überzeugungen klar und kompromisslos vertritt.
Schizoide sind oft Einzelgänger
Der schizoide Mensch kreist mit seinen Gefühlen und Gedanken stets um sich selbst, er ist das Zentrum seiner Rotation. Seine Selbstbewahrung ist zentral, er sich selbst das Wichtigste. Mitmenschliche Nähe ängstigt ihn, er fühlt sich wohler in kühler Distanz.
Sein Streben ist es, so unabhängig wie möglich zu leben. Er braucht Abstand, scheut nahe persönliche Kontakte und versucht, ihm unvermeidliche zwischenmenschliche Beziehungen so weit wie möglich zu versachlichen. Aufgrund seiner tiefsitzenden Angst vor dem “Du” wird er während seines Lebens häufig immer einsamer und isolierter.
Liebe erleben schizoide Menschen als gefährlich
Die Angst vor Nähe kann eskalieren, wenn ihnen Gefühle der Sympathie, Zuneigung, Zärtlichkeit und Liebe entgegen gebracht werden. In solchen Situationen reagieren sie schnell abrupt, abweisend und feindlich. Sie brechen plötzlich den Kontakt ab, ziehen sich auf sich selbst zurück und sind nicht mehr erreichbar.
Schizoiden entstehen Erfahrungslücken
Zwischen schizoiden Menschen und ihrer Umwelt klafft oft eine mit den Jahren sich verbreiternde Erfahrungslücke, beschreibt der Psychotherapeut Riemann. Sie entwickeln zunehmend Unsicherheiten im mitmenschlichen Umgang, sind in ihrer Orientierung auf das Vermuten und Wähnen angewiesen.
Sie sind oft zutiefst unsicher, ob ihre Wahrnehmungen zu Reaktionen und Verhaltensweisen ihrer Mitmenschen nur ihre eigenen Einbildungen und Projektionen, oder reale Wirklichkeit sind. In krankhafter Ausprägung weiß ein schizoider Mensch nie ganz genau, ob was er fühlt, wahrnimmt oder denkt, nur in ihm selbst existiert, oder auch in der Außenwelt.
Schizoide können Irritationen nicht hinterfragen
Diese Unsicherheit kann alle Schweregrade annehmen, von fortlaufendem Misstrauen und krankhafter Eigenbezüglichkeit, bis zu wahnhaften Einbildungen und Wahrnehmungstäuschungen. So vermuten ausgeprägt Schizoide z.B. wahnhaft, ihre Gedanken könnten für andere Menschen hörbar sein oder werden von außen gesteuert.
Aufgrund ihres fehlenden Nahkontaktes zu Mitmenschen können sie diese Unsicherheiten nicht hinterfragen und korrigieren. Die breite Kontaktunsicherheit kann schizoiden Menschen viele Alltagsschwierigkeiten bereiten, da ihnen die mittleren Töne im mitmenschlichen Umgang fehlen.
Schizoide kultivieren zur Eigensicherung den Intellekt
Da schizoide Menschen durch Emotionales verunsichert werden, prägen sie ihre rationale Seite besonders aus. Sie versachlichen so viele Aspekte ihres Lebens wie möglich, um sich vor Subjektivität zu schützen. Sie entwickeln häufig eine überdurchschnittliche Intelligenz und orientieren sich kühl und objektiv.
Sie benutzen ihren Intellekt oft als “Waffe”, um aggressiv und arrogant ausschließlich eigene Bedürfnisse zu befriedigen. Mitmenschen werden schnell als Konkurrenten wahrgenommen, die unsentimental und sarkastisch abgewehrt werden. Durch ihr übertriebenes Selbstwertgefühl sind sie gleichgültig gegenüber Kritik und nicht teamfähig.
Schizoide Menschen in der Partnerschaft
Aufgrund ihrer Bindungsscheu gehen schizoide Menschen Partnerschaften nur selten dauerhaft ein, das Sexualleben ist oft triebhaft abgespalten. Der Sexualpartner wird zum Objekt, sexuelle Zuwendung eskaliert oft in das Zufügen von Schmerz und Verletzungen. Oft können sie Liebe nicht annehmen und reagieren mit übertriebenem Hass, Misstrauen oder Eifersucht, die aus Gefühlen der Bedrohtheit durch ein übermächtiges “Du” entsteht.
Schizoide können auch die tiefen Zweifel an Gefühlen in ständigen “Bewährungsproben am Partner” ausleben. Zuneigungen werden abgewertet, bagatellisiert, analysiert, angezweifelt oder umgedeutet. Mit Zynismus neigen sie dazu, Empfindungen als lächerlich zu ironisieren. Das kann sich bis zu einem Beziehungswahn steigern, der dem Partner alles erdenklich Schlechte unterstellt und die Partnerschaft zerstört.
Entwicklungsaspekte schizoiden Verhaltens
Große seelische Empfindsamkeit, Labilität und Verwundbarkeit können schizoides Verhalten ermöglichen, das als Selbstschutz eine größtmögliche Distanz zur Umwelt schafft. Alternativ fördern aggressiv-triebhafte Erbanlagen mit geringer Bindungsfähigkeit die schizoide Entwicklung.
Neben Erbfaktoren sind prägende Umweltbedingungen entscheidend. Unerwünschte Kinder, die oft enttäuscht, abgelehnt, isoliert und ausgegrenzt werden, entwickeln nicht selten schizoide Züge. Erfährt ein Kind die Welt zu früh als unzuverlässig, unheimlich und lieblos, wird es sich mehr auf sich zurückziehen als üblich. Vernachlässigung, Reizüberflutung und Überforderung sind wichtige Indikatoren, um früh egoistische Selbstbezogenheit zu entwickeln.
Schizoide Menschen können sehr differenzierte und sensible Menschen sein, die alles Flache und Banale zutiefst ablehnen. Nur bei ausgeprägter Gefühlskälte oder Gefühlsverarmung bleiben sie nach Einschätzung des Psychotherapeuten hinter dem eigentlich Menschlichen zurück. Sie hängen an nichts besonders stark, noch nicht einmal an sich selbst.