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Wie funktioniert Japanische Kampo-Medizin

Das shô in der Kampo-Medizin. Die japanische Pflanzenheilkunde (Kampo) wendet eine spezielle Diagnoseform an, die sich grundlegend von der westlichen Medizin unterscheidet.

Kampo ist die traditionelle japanische Medizin. Sie beruht auf einem medizinischen System, das mit unserer modernen westlichen Medizin nur schwer in Einklang zu bringen ist. Dennoch werden in der Behandlung verschiedener Krankheitsbilder große Erfolge mit Kampo-Rezepturen erzielt (etwa chronischen Lebererkrankungen). Diese positiven Resultate basieren aber auf einer völlig anderen Art der Diagnose als in der westlichen Medizin. Die Diagnose in der Kampo-Medizin stellt die Bestimmung des shô eines Patienten dar.

Was ist shô und wie wird es bestimmt?

Shô bedeutet Beweis, Merkmal oder Befund. Die Bestimmung des shô ist die Grundlage für die Behandlung, d.h. für die Auswahl der angemessenen Kampo-Arznei. Dabei wird versucht, eine Aussage über den aktuellen Zustand eines Patienten, seine aktuelle Reaktionslage zum Zeitpunkt der Untersuchung zu machen. Der Arzt versucht die Anzeichen der Krankheit am Patienten zu erfassen. Diese Anzeichen werden mit verschiedenen Untersuchungsmethoden festgestellt: mit der Befragung des Patienten, der Betrachtung, der Zungenuntersuchung, der tastenden Untersuchung des Pulses und des Bauches.

Interpretation der Befunde

Die Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungen werden in weiterer Folge nach theoretischen Prinzipien der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM, aus der sich Kampo entwickelt hat) interpretiert. Dazu werden herangezogen:

  • die Konzepte:
    • ki
    • Blut
    • Körperflüssigkeiten
  • die acht Leitkriterien:
    • in (Yin) und (Yang)
    • kan (Kälte) und netsu (Hitze)
    • kyô (Leere) und jitsu (Fülle)
    • hyô (Außen) und ri (Innen)
  • die fünf Funktionskreise:
    • Herz
    • Leber
    • Niere
    • Lunge
    • Milz

Diese Prinzipien sind an einer äußeren Betrachtung des Körpers und seiner Funktionsweisen entwickelt. Ki etwa (bekannter in der vom Chinesischen kommenden Form qi, wie etwa in Qigong) ist als eine Art Lebensenergie zu verstehen. Wenn man den Körper nur von außen betrachtet, ohne eine Obduktion vorzunehmen, liegt der Schluss nahe, dass auch eine solche Lebensenergie in ihm wirkt, die man sich aber eher funktional vorstellen muss wie das Blut oder die Körperflüssigkeiten. In und sind das von hell-dunkel kommende grundsätzliche Konzept von Gegensatzpaaren wie es aus fernöstlichen philosophischen Konzepten bekannt ist (Yin und Yang). Auch bei den Funktionskreisen, die Organen entsprechen, darf man nicht die aus der westlichen Anatomie bekannten Vorstellungen als Maßstab nehmen. Hier sind die Konzepte ebenfalls vom “Anschauen” des Körpers und nicht vom “Hineinschauen” gewonnen.

Bestimmung des Krankheitsstadiums

Ein wesentlicher Faktor der Diagnose der Kampo-Medizin ist die Bestimmung des Krankheitsstadiums. Denn dieses ändert sich laufend und der Arzt muss mit einer Anpassung der Behandlungsmethode jederzeit darauf reagieren können. Das Prinzip ist hier, dass eine Krankheit in Form eines beliebigen Krankheitserregers von außen in den Körper eindringt und im Krankheitsverlauf ohne Behandlung immer weiter in das Innere vordringt. Für den Verlauf der Krankheit gibt es sechs Stadien, drei in– und drei -Stadien:

  • Großes (Hitze im Außenbereich)
  • Kleines (Hitze im Halb-Außen-Halb-Innenbereich)
  • Helles (Hitze-Fülle im Innenbereich)
  • Großes in (Kälte im Innenbereich)
  • Kleines in (Kälte im Innen- und Außenbereich)
  • Weichendes in (oben Hitze – unten Kälte)

Jedes Stadium kann innerhalb kurzer Zeit in ein anderes übergehen. Dies ist abhängig von den körpereigenen Abwehrkräften, der allgemeinen Konstitution des Patienten, dem gleichzeitigen Vorhandensein anderer Krankheiten und der Behandlung.

Ein Beispiel für die shô-Bestimmung und Behandlung

Wie muss man sich nun die praktische Anwendung dieser theoretischen Erklärungen vorstellen? Ein Beispiel anhand einer fiktiven Untersuchen eines Patienten:

Ein Kampo-Arzt hat einen Patienten, der bei äußerlicher Betrachtung mäßig bis hochgradig geschwächt wirkt. In der Befragung berichtet der Patient von anfallsartigen Kopfschmerzen in Verbindung mit Brechreiz und Kälteempfindlichkeit, die oft auch der Auslöser für die Kopfschmerzen ist. Darüber hinaus plagen den Patienten häufiges Sodbrennen und Nackenschmerzen. Einer Untersuchung der Zunge zeigt diese feucht und schleimig mit weißem Belag und der Puls erweist sich als tiefliegend, langsam und schwach. Die Bauchuntersuchung zeigt eine schlaffe Bauchdeckenspannung sowie Missbehagen im Oberbauch und Magenplätschern.

Für den Arzt bedeuten diese Beobachtungen bei der Bestimmung des shô, dass es sich um das Krankheitsstadium des Großen in (Kälte im Innenbereich) handelt und, entsprechend der Leitkriterien und Funktionskreise, um Kälte bei Magen-Leere, in-Fülle bei Leber-Magen-Leere oder Kälte-Invasion des Mittleren Erwärmers.

Die Arznei der Wahl wäre in diesem Fall goshuyu-tô oder Evodia-Absud, der häufig bei chronischen Kopfschmerzen, Migräne, Übelkeit und Nackenverspannungen zum Einsatz kommt. Er lindert Brechreiz und stillt Schmerzen, in Kampo-Begriffen: zerstreut Kälte, wärmt die Mitte, begünstigt die Milz und fördert das ki.

Vorwissenschaftlich, nicht unwissenschaftlich

Man sollte nicht den Fehler begehen, diese vorwissenschaftlichen Betrachtungsweisen der Anatomie und der Krankheitsbilder einfach als “falsch” zu verwerfen. Ein Vergleich der in diesem Zusammenhang gerne gemacht wird ist die Wettervorhersage. Die moderne Meteorologie arbeitet mit modernsten wissenschaftlichen Methoden sammelt große Mengen exakter Daten über die klimatischen Verhältnisse. In der Antike hatte man diese wissenschaftlichen Methoden nicht, trotzdem war es möglich, mit über Jahrhunderten gewonnener Erfahrung aus der Beobachtung der Umwelt, etwa der Wolken, Veränderungen im Wetter richtig vorherzusagen. Im übrigen liegt bekanntlich auch die moderne Meteorologie bei der Vorhersage des Wetters noch ab und an falsch.

Auch die Beurteilung einer Krankheit und ihres Stadiums beruht in der Kampo-Medizin auf jahrhundertelanger praktischer Erfahrung. Aufgrund dieser Erfahrung über die Art und Weise, wie sich Krankheiten in kleinen Details äußerlich am Körper und in seiner Funktionsweise zeigen und mit welchen Arzneien darauf Einfluss genommen werden kann, führt eine Behandlung mit Kampo-Medizin häufig zu den gewünschten Ergebnissen. Dass die dabei verwendeten Konzepte nicht der westlichen Medizin entsprechen, spielt in diesem Fall keine Rolle.