Sie schreien oder schlagen um sich, werden ganz still oder bauen ihre Realität in einer Fantasiewelt auf – Plötzliche Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern.
Jede Mutter, jeder Vater wünscht sich nichts sehnlicher, als die eigenen Kinder froh und glücklich aufwachsen zu sehen. Eine ganz normale Kindheit in einer ganz normalen Familie. Doch leider ist das in vielen Fällen nicht möglich, nämlich genau dann, wenn die eigenen Kinder auffällig werden, aus der Reihe tanzen oder sogar völlig von der gesellschaftlich geforderten Norm abweichen.
Was ist Auffälligkeit?
„Tim war immer ein ganz normaler Junge“, meint seine Mutter beunruhigt zu ihrer Freundin. Doch Tim hatte sich verändert. Aus dem ruhigen aufgeschlossenen Jungen war ein frecher, lauter aufmüpfiger Bengel geworden, der seine Mutter mitten in der Fußgängerzone ohne jeden Grund anbrüllte und mit den Fäusten um sich schlug. Was war geschehen? Tims Mutter konnte sich seine plötzliche Verhaltensauffälligkeit nicht erklären.
Schwierigkeiten werden in den meisten Fällen nicht als solche wahrgenommen. Mütter sind überfordert beim Spagat zwischen Familie und Karriere, Väter durch die Verantwortung für den Beruf gestresst, manchmal sogar genervt vom Partner, von der Partnerin. Da fällt es schwer, die zarten Hilferufe der Sprösslinge aufzufangen und richtig zu deuten. Um sich Gehör zu verschaffen, werden die Hilferufe der Kinder lauter. Dies äußert sich nicht ausschließlich durch lautes Gebrüll, sondern kann aus den Kleinen zum Teil sogar sehr stille Kinder machen.
Als Eltern selber still werden und hinhören
In der Hektik des Alltags ist meist keine Zeit für leise Minuten. In einem Mehrfamilienhaushalt, in welchem sich jedes Kind auch einmal Gehör verschaffen möchte, geht es mitunter zu wie in einem Bienenstock. Dabei ist es schwer, genau zu filtern, bei welchem Kind sich echte Probleme anbahnen oder was zum normalen Tagesgeschehen gehört. Aber auch in Ein-Kind-Familien kann es zu kommunikativen Problemen zwischen Eltern und Kind kommen. Beruflich sehr eingespannte Eltern, die nur das Beste für ihr Kind wollen, können dabei schnell über das Ziel hinaus schießen. Das Resultat: Das Kind „spinnt“ und niemand weiß warum.
Auf Warnsignale hören
Abgegebene Warnsignale können unterschiedlicher Natur sein. Während ein Kind laut, aufmüpfig und aggressiv wird, kann sich ein sehr sensibles Kind still und heimlich immer weiter in sein eigenes kleines Schneckenhaus zurück ziehen. Manch ein Kind hat im Vorschulalter oder sogar im Grundschulalter seinen Harndrang immer noch nicht unter Kontrolle. Kinder, die Bettnässen, aber auch tagsüber in regelmäßigen Abständen nicht den Weg bis zur Toilette schaffen, sind gar nicht so selten. Auch an den Fingernägeln kauen und in der Nase bohren sind keine schlechten anerzogenen Angewohnheiten, sondern eine Art Zwangshandlung, bei welcher Anspannung und Nervosität abgebaut werden können. Auch die regelmäßige Flucht in eine Fantasiewelt hilft den Kindern, Dinge, die sie nicht verstehen, zu verarbeiten. Ein gewisses Maß von alldem ist sicherlich nicht verdächtig, dennoch sollten Eltern aus Angst vor einer unangenehmen Nachricht nicht den Dialog mit Kindererzieherinnen und Grundschullehrern scheuen.
Was können Eltern bei Auffälligkeiten tun?
Fällt das veränderte Wesen des Kindes ins Gewicht, sollten sich Eltern, Lehrer und Erzieher zusammen setzen, um nach Lösungsvorschlägen zu suchen. Für die Kinder ist es von Vorteil, wenn die Eltern nicht von vornherein abweisend sind, sondern Hilfe auch annehmen. „In fast 90% der Fälle, wo die Kinder zu ,spinnen‘ begannen, gibt es Spannungen im familiären Umfeld“, sagt Psychotherapeutin Marion Kennel-Reinhardt aus der Familienorientierten Vorsorgeklinik „Mikina“ in Bad Schönborn. Ist ein Kind auffälliger als sonst, sollten bereits im Vorfeld einige Fragen geklärt werden. Das setzt allerdings auch eine ehrliche Analyse der Probleme der Erwachsenen voraus.
- Wer hat sich verändert?
- Seit wann ungefähr besteht diese Veränderung?
- Worin besteht diese Veränderung genau?
- Was könnte die Ursache dafür sein?
- Gibt es familiäre Einschnitte?
- Ein Blick auf das Umfeld der Kinder richten: Schule, Freunde, Ängste der Kinder.
- Wie soll es mit dem Kind und der Familie weiter gehen?
Gründe für die Störung des Kindes
Zu solchen familiären Einschnitten gehören neben der Trennung der Eltern ganz klar auch der Tod eines nahen Verwandten, der Arbeitsplatzwechsel eines Familienmitgliedes, das körperliche und seelische Befinden der Eltern, aber auch der neue Lebensabschnitt eines Kindes beim Schuleintritt oder angekündigter Familienzuwachs durch ein Baby. Kinder habe feine Antennen, ein feines Gespür für Dinge, die wir mit den Augen nicht sehen können. Manch einer reagiert mit körperlichen Beschwerden, wie Neurodermits oder andauernden Bauchschmerzen ohne jeden ersichtlichen Grund. Ein Anderer fängt solche familiären Veränderungen psychisch ab. In beiden Fällen sollten sich Eltern Hilfe holen. Ein Gespräch mit dem Kinderarzt, den Erzieherinnen im Kindergarten oder den Lehrern in der Grundschule kann in einigen Fällen schon helfen. Die Kinder brauchen nicht grundsätzlich den Gang zum Psychologen antreten, in der Regel helfen bereits Gespräche mit erfahrenem Fachpersonal. Hier können sich Eltern Tipps geben lassen, wie sie mit ihrem Kind in jener Situation umgehen können. Auch Gespräche mit anderen betroffenen Müttern helfen manchmal über diese schwierige Zeit hinweg und signalisieren: Du bist nicht allein mit deinem Problem!