Hochbegabung führt nicht automatisch zu Erfolg. Nur wenige können ihr Potential entfalten, selbst wenn sie gefördert werden.
Gerade im Zusammenhang mit der Diskussion über die Einführung der Einheitsschule in Deutschland wird auch immer wieder darüber diskutiert, ob und wie man hochbegabte Kinder und Jugendliche am besten fördern sollte. Auch die Wirtschaft hat an der speziellen Begabtenförderung immer größeres Interesse wegen des zunehmenden Mangels an Fachkräften. Eine Studie in England weist jedoch darauf hin, dass zu viel Förderung den Hochbegabten auch schaden kann. Andererseits führt es jedoch zu Problemen, wenn die Hochbegabung unerkannt bleibt.
Was versteht man heute eigentlich unter Hochbegabung?
Als hochbegabt werden Menschen bezeichnet, deren Intelligenzquotient 130 oder mehr beträgt. Es gibt auch andere Definitionen von Hochbegabung, zum Beispiel Mehr-Faktoren-Modelle, die von außergewöhnlichen Fähigkeiten in unterschiedlichen Bereichen oder in mehreren Bereichen gleichzeitig ausgehen. Hochbegabung kann sich danach nicht nur an weit überdurchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten zeigen, sondern auch im mathematisch-logischen, im sprachlichen, musikalischen, künstlerischem oder sozialem Bereich. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für das begabte Kind soll bei zwei bis drei Prozent aller Kinder eine Hochbegabung vorliegen.
Hochbegabte Underachiever
Underachiever sind Hochbegabte, deren Begabung unerkannt bleibt und die eher schlechte Leistungen in der Schule und im Beruf erbringen, weshalb man bei ihnen keine Hochbegabung vermuten würde. Die Identifikation von hochbegabten Underachievern fällt Eltern und Lehrkräften schwer, da sie Hochbegabung in der Regel mit sehr guten und guten Schulleistungen assoziieren. Definiert man als Underachiever Schüler, deren Intelligenzquotient einem IQ von 130 oder mehr entspricht, deren Schulleistung jedoch höchstens durchschnittlich sind, gehören zwölf Prozent der Hochbegabten zu den Underachievern. Eine unerkannte Hochbegabung hat nicht nur für den Hochbegabten selbst negative Folgen, sondern der Gesellschaft gehen so auch wertvolle Talente verloren, wenn es Hochbegabten nicht gelingt, ihre Potentiale zu entfalten.
Hochbegabte Underachiever weisen oft bestimmte Persönlichkeitsmerkmale auf, die auch als ,,typisches“ Underahievementsyndrom bezeichnet werden. Sie können sich nur schlecht motivieren, ihnen mangelt es an Lernstrategien und Lernkonzepten. Sie haben von sich ein negatives Selbstbild und werden auch von Eltern und Lehrern als schwierig eingeschätzt. Die Probleme mit dem Selbstbild und dem Selbstkonzept können sogar so ausgeprägt sein, dass man von Persönlichkeitsstörungen sprechen kann. Nach ihrer Selbsteinschätzung sind sie wenig von sich überzeugt, leiden unter Unterlegenheitsgefühlen, scheuen soziale Kontakte, sind aber auch mit ihrer sozialen Situation unzufrieden und reagieren sehr emotional bei geringer seelischer Stabilität. Ihr Leistungspotential wird sowohl von den eigenen Eltern als auch von den Lehrern unterschätzt. Die Ursachen für Underachievement hängen jedoch nicht nur mit den Persönlichkeitsmerkmalen der Underachiever zusammen, sondern auch familiäre und soziale Beziehungen und schulische und außerschulische Umweltbedingungen nehmen Einfluss darauf, ob sich jemand zum Underachiever entwickelt.
Scheitern trotz spezieller Förderung
Aber auch Kinder, deren Hochbegabung rechtzeitig erkannt und gefördert wird, scheitern häufig im späteren Leben. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie der englischen Psychologieprofessorin Joan Freemann, die die Entwicklung von 210 hochbegabten Kindern über einen langen Zeitraum beobachtete. Die Hochbegabung der Kinder lag in ganz unterschiedlichen Bereichen. Unter ihnen befanden sich Mathematikgenies, potentielle Künstler oder auch Kinder mit ungewöhnlicher Empathie oder sogar spiritueller Begabung. Doch nur sechs der 210 Kinder konnten später ihre Potentiale entfalten und waren damit außergewöhnlich erfolgreich.
Mehrere Faktoren scheinen dafür verantwortlich zu sein, wieso es den restlichen 204 Kindern nicht gelang, trotz Förderung, Nutzen aus ihrer Begabung zu ziehen. Einmal wirken sich zu ehrgeizige und überfürsorgliche Eltern negativ auf die Entwicklung der hochbegabten Kinder aus. Ein schwache Persönlichkeit und eventuelle mangelndes Durchhaltevermögen stehen der Entfaltung der Potentiale Hochbegabter ebenfalls im Weg. Diese Merkmale kennzeichnen auch die sogenannten Underachiever. Außerdem werden Hochbegabte oft von Lehrern, Mitschülern oder Gleichaltrigen schikaniert. Teilweise haben sie dadurch nur wenige oder gar keine Freunde. Für diese fehlt ihnen auch oft wegen intensiver Förderung die Zeit. Der massive Erfolgsdruck, dem man sie aussetzt, stört die normale Entwicklung, was dann auch psychische Probleme im Erwachsenenalter auslösen kann.
Joan Freemann kommt aufgrund ihrer Forschungsergebnisse zu dem Schluss, dass Hochbegabte vor allem auch als Menschen akzeptiert werden sollten. Sie brauchen angemessene Unterstützung zur Entfaltung ihrer Potentiale, aber keine Sonderbehandlung. In dem Artikel ,,Underachievement aus psychologischer und pädagogischer Sicht“ von Prof. Dr. phil. Detlef H. Rost, befinden sich am Ende des Artikels einige Hinweise zum Umgang mit hochbegabten Underachievern, die aber auch auf Hochbegabte übertragen werden können, die Schwierigkeiten haben, ihre Potentiale zu entfalten.