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Wie entstehen Minderwertigkeitsgefühle – Warum haben Menschen Minderwertigkeitsgefühle?

Mit einer geringen Selbstachtung käme man nicht auf die Welt, meint Psychotherapeut Dr. Rolf Merkle. Man lernt, geringschätzig über sich zu denken.

Für ein Kleinkind gelten Eltern als unfehlbar. Kinder würden grundsätzlich annehmen, sie hätten es verdient, wenn sie durch Worte oder abweisendes Verhalten bestraft werden. Emotionale Ablehnung sei aus kindlicher Sicht extrem bedrohlich. Somit würde man in der Kindheit Kritik, Verbote und Gebote der Eltern verinnerlichen. Die innere Stimme entsteht, welche selbstregulierend wirkt und innerlich kritisiert. Sie sichert die Zuneigung der Eltern und das kindliche Überleben.

Übertriebene Selbstkritik – der Fehler im System

Regeln und Verbote in der Kindheit zu verinnerlichen, sei nach Ansicht von Dr. Merkle nicht das eigentliche Problem. Erst wenn man anfängt, seinen Wert als Mensch ständig mit seinem Verhalten gleichzusetzen, würde ein folgenschwerer Fehler entstehen. So entwickelt sich die Sichtweise, grundsätzlich das eigene Verhalten mit der eigenen Person gleichzusetzen. Massiv kritisierende Eltern in den ersten 7 Lebensjahren begünstigen den Prozess, übertriebene Selbstkritik gegen sich selbst zu entwickeln. Die kindliche Wahrnehmung schlussfolgert aus ständiger Kritik, nicht ausreichend liebenswert zu sein. Diese falsche Schlussfolgerung sei die Grundlage einer entstehenden Selbstablehnung und die Quelle von Minderwertigkeitsgefühlen im Erwachsenenleben. Es wird gelernt, dass bestimmte Bedürfnisse, Gefühle und Verhaltensweisen schlecht sind. Und man selbst schlecht ist, sollte man diese Bedürfnisse, Gefühle und Verhaltensweisen haben. Macht man somit etwas vermeintlich falsch, so sei man als Mensch fehler – und mangelhaft. Würde man etwas aus Sicht anderer vermutlich falsch tun, so sei man als Mensch nicht in Ordnung.

Keine Chance auf Vollkommenheit im Erwachsenenleben

Ist der erste Schritt gemacht und man wäre davon überzeugt, im Grunde mangelhaft und schlecht zu sein, so käme das einem Zustand dauerhafter Unvollkommenheit gleich. Daraus entsteht eine folgenschwere Ursache von Minderwertigkeitsgefühlen. Da in der inneren Logik Menschen daraus schlussfolgern, sich erst annehmen und akzeptieren zu können, wenn sie vollkommen wären, entwickelt sich eine verhängnisvolle Selbstablehnung. Solange sie diese Vollkommenheit nicht erreichen, seien sie aus ihrer Sicht minderwertig. Gleichgültig, wie sehr man sich auch anstrengt, eine absolute Vollkommenheit im Erwachsenenleben sei nicht zu erreichen. Somit würden Menschen mit dieser inneren Gefühlslage auch nicht in der Lage sein, wirkliche Zufriedenheit zu erreichen. Jedoch wären sie ständig emotional von dem Grundgefühl belastet, nicht in Ordnung und minderwertig zu sein. Mit der Zeit könne sich daraus sogar eine Form von Selbsthass entwickeln.

Der Selbstwert wird von anderen Menschen abhängig

Menschen mit Minderwertigkeitsgefühlen lernten schon in ihrer Kindheit, dass man sie nur lieb hat, wenn sie sich auch lieb und artig verhalten. Somit verinnerlichten sie zu tun, was andere von ihnen erwarten. Sie gehen davon aus, sich Liebe und Zuneigung verdienen zu müssen. Aus ihrer Sicht seien sie nur unter bestimmten Bedingungen liebenswert. Nur dann, wenn ihr Verhalten anderen Menschen gefällt. So würden sie auch als Erwachsene um die Liebe und Anerkennung der anderen buhlen. Sie sind bereit extrem viel zu tun, nur um andere zufrieden zu stellen und bei Laune zu halten. Diese Minderwertigkeitsgefühle verursachen in ihnen den Drang, immer auch dann “Ja” zu sagen, wenn sie eigentlich lieber “Nein” sagen möchten. Sie würden ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche unterdrücken, um möglichst jede Ablehnung durch andere Menschen zu vermeiden. Dr. Merkle beschreibt, wie sich Menschen mit Minderwertigkeitsgefühlen direkt wie Schwerverbrecher fühlen, wenn sie einmal etwas tun, was sie selbst wirklich möchten. Selbst wenn ihr Verstand ihnen sagen würde, dass sie ein gutes Recht darauf haben, eigene Bedürfnisse zu erfüllen.

Erlernte Minderwertigkeit durch ständige Vorbilder

Ein beliebtes Erziehungsmittel in der Kindheit ist der Verweis auf Vorbilder. Geschwister, Schulkameraden oder beliebige Idole haben vermeintlich viel mehr, als man selbst jemals haben kann. So könne man früh lernen, sich minderwertig zu fühlen, wenn es nicht gelingt, dem Vorbild zu entsprechen. Wird man ständig mit anderen Menschen verglichen, kann daraus eine schmerzhafte Wahrnehmung entstehen. Folgend gäbe es immer nur zwei Klassen von Menschen. Beispielsweise gute und schlechte, liebenswerte und ablehnenswerte, tüchtige und faule, anerkannte und verachtenswerte. Diese Sichtweise des Vergleichens haben Menschen mit Minderwertigkeitsgefühlen verinnerlicht. So würden sie ständig schauen, was andere besitzen oder haben: mehr Geld, mehr Intelligenz, ein größeres Haus, ein besseres Aussehen, mehr Erfolg und so weiter. Haben ihnen andere vermeintlich etwas voraus, so wachsen ihre Minderwertigkeitsgefühle stetig. Es entsteht in ihnen der Drang, es anderen gleichzutun, mithalten zu wollen. Sie fühlen sich angetrieben, besser als andere oder wenigstens wie diese zu sein.

Beispielsweise nutzen Medien und Werbung diese Umstände erfolgreich. Es werden Schönheitsideale verherrlicht, denen nur die allerwenigsten wirklich entsprechen können. So fühlen sich immer mehr Frauen und Männer mit ihrem Körper unzufrieden, werten sich als unattraktiv bis hässlich. Der eigene Körper wird zum Feind erklärt, den man mit allen Mitteln zu reparieren gewillt ist. Jedoch könne man von dem Gefühl unattraktiv und somit minderwertig zu sein nicht befreit werden, solange man Attraktivität und Selbstachtung nur von seinem Äußeren abhängig macht.