Werden Geschenke nur aus Liebe vergeben? Wie wird eine Ware zum Geschenk? Ist es möglich, mit Geschenken Macht über andere auszuüben?
Geburtstag, Weihnachten, Hochzeiten, Jahrestage,.. manchmal erscheint es, als wäre man immer und überall auf der Suche nach dem „perfekten“ Geschenk. Es ist jedoch nicht unwichtig – der Austausch von Geschenken stellt einen der wichtigsten sozialen Phänomene in menschlichen Gesellschaften dar. Yunxiang Yan schreibt in seinem Aufsatz „The gift and gift economy“, dass die „Welt des Schenkens“ eine sehr komplexe Welt ist, da sie nicht nur Beziehungen zwischen Personen, Gruppen, Familien, etc. beeinflusst, sondern auch die Identität der einzelnen Individuen selbst. Durch diesen Einfluss kann – in einigen Gesellschaften – zum Beispiel das Geschenk, welches die Eltern der Braut an die Eltern des Bräutigams überreichen, darüber entscheiden, ob ein Paar heiraten darf oder nicht.
Laut Yan lässt sich der Geschenkeaustausch in unzählige Kategorien aufteilen. Geschenke können zeremoniell (Weihnachten, Geburtstage) oder nicht-zeremoniell ausgetauscht werden. Eine weitaus größere Bedeutung kommt jedoch den Personen oder Gruppen zu Gute:
- Vertikaler Austausch: Zwischen ungleichen Personen, zum Beispiel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Diese Form des Austausches von Geschenken spielt, in vielen Gesellschaften, eine wichtige Rolle, wenn es um die Verteilung von Macht geht. Wenn etwa der Rangniedrigere das Geschenk, welches er vom Ranghöheren erhalten hat, nicht erwidern kann, steht er dadurch in der Schuld des Ranghöheren.
- Horizontaler Austausch: Zwischen gleichberechtigten Personen, zum Beispiel zwischen Brüdern.
Schenken-Annehmen-Zurückgeben
Wie bereits im vorherigen Absatz erwähnt, kann das Verschenken einer Person Prestige bringen, sofern der Beschenkte nicht in der Lage ist dieses Geschenk zu erwidern. Ein extremes Beispiel hierfür stellt der Potlatch aus Nordamerika dar: Potlatch wurde der Austausch von Geschenken bei amerikanischen Ureinwohnern an der Nordwestküste der USA genannt. Jede Gruppe erzeugte über einen Zeitraum hinweg Gegenstände, welche dann am Tag des Potlatch, mit den anderen Gruppen, getauscht wurden. Die Gruppe die am meisten verschenken konnte, erntete Ehre und Prestige, alle anderen Gruppen standen in der Schuld. Beim nächsten Treffen, lag es dann an den anderen Gruppen, sich wieder in der Rangfolge nach oben zu kämpfen und mehr zu verschenken. Dieses Brauchtum ging jedoch soweit, dass die Beteiligten die Geschenke der anderen aus Hass zerstörten und auch die verschenkten Sklaven töteten. Aus diesem Grund sah sich die Regierung der USA verpflichtet den Potlatch zu verbieten.
Unterschied zwischen Geschenken und Waren
Wo liegt eigentlich der Unterschied zwischen einem persönlichen Geschenk und einer unpersönlichen Ware? Laut Marshall Sahlins werden Geschenke zwischen Verwandten und Freunden getauscht und Waren zwischen nicht-verwandten Personen. Dabei ist der Grad der Verwandtschaft ausschlaggebend. Sahlins Theorie kann sich jedoch in der westlichen Welt nicht mehr durchsetzen: Bis 1880 wurden sowohl im urbanen als auch in ruralen Amerika vorwiegend handgemachte Geschenke ausgetauscht, welche jedoch nach und nach von maschinengefertigten Waren abgelöst wurden. Somit wurde es laut Yan möglich, Waren in persönliche Geschenke zu verwandeln und die Grenze zwischen Geschenken und Waren verschwand. Seit dieser „Revolution des Schenkens“ können Geschenke vermehrt einen kommerziellen Aspekt aufweisen.
Geschenkeaustausch existiert in allen Gesellschaften, aber dennoch hat sich das freie und individuelle Schenken, ohne rituellen Vorgaben, vor allem in der westlichen Welt durchgesetzt. Nach Yan hat diese Tatsache eine „Kultur der Liebe“ erschaffen, wo ein Geschenk etwas Einzigartiges in zwischenmenschlichen Beziehungen sein kann.