„Nie hörst Du mir zu“, glauben viele. Selbst, wenn sie es wütend einfordern. Doch der Andere kann sie oft nicht hören. Sein Gehirn ist ausgelastet.
Eine klischeehafte aber nicht untypische Situation an deutschen Frühstückstischen: Die Frau möchte sich unterhalten und spricht den Mann immer wieder und immer verärgerter an. Dieser liest aber weiter seine Zeitung und reagiert nicht. Die Frau fühlt sich verletzt und deutet sein Verhalten als Desinteresse. Doch die aktuelle Studie des Psychologe Dr. Thomas Straube zeigt, dass dies ein Irrtum ist.
Die Grundidee der Studie
„Bisher sind wir davon ausgegangen, dass soziale emotionale Reize – insbesondere Wut – vom Gehirn automatisch verarbeitet werden“, sagt Martin Mothes-Lasch aus Straubes Team. Dies wurde damit erklärt, dass Wut in der Stimme eines anderen auf eine potentielle Gefahrenquelle schließen könnte. Im Falle des frühstückenden Ehepaar also, dass ein Streit im Anmarsch sein könnte. Und Gefahren zu erkennen, ist auch in unserer heutigen Zeit noch sehr wichtig. „Spricht jemand in hörbar wütendem Tonfall zu uns, wird unser Gehirn in Alarmbereitschaft versetzt“, erläutert Doktorand Mothes-Lasch. So die theoretische Grundlage für die Studie. Doch warum reagiert der Mann dann nicht auf das verärgerte Nachfragen der Partnerin?
Die Durchführung der Studie
Das Jenaer Psychologenteam um Dr. Straube hat Versuchspersonen verschiedene Begriffe hören lassen, die entweder von einer wütenden oder einer neutralen Stimme gesprochen wurden. Zugleich wurden den Testpersonen auf einem Bildschirm verschiedene Symbole gezeigt. Während sie also einerseits entscheiden mussten, ob sie eine männliche oder eine weibliche Stimme gehört haben, mussten sie gleichzeitig registrieren, ob das gesehene Symbol ein Kreuz oder ein Kreis war. Die Gehirnaktivitäten der Probanden wurden währenddessen mittels Kernspintomographie aufgezeichnet, um zu sehen, welche Gehirnregionen aktiviert wurden.
Wut wird gehört – aber nicht, wenn man sich visuell konzentrieren muss
„Es zeigte sich deutlich, dass eine wütende Stimme eine deutlich höhere Aktivierung der Gehirnregion zur Folge hat, die für die Verarbeitung emotionaler Reize zuständig ist“, sagt Mothes-Lasch. Allerdings blieb die Gehirnaktivität in diesem Bereich aus, wenn sich die Probanden gleichzeitig auf das richtige Zuordnen der Symbole konzentrierten. Dies überraschte die Psychologen. „Das hatten wir anders erwartet“, betont Dr. Straube. Bisher war man davon ausgegangen, dass das Gehirn der akustischen Botschaft immer den Vorzug gibt. Doch die Ergebnisse ließen wenig Zweifel: Offenbar stößt die automatische Verarbeitung emotionaler Reize an ihre Grenzen, wenn visuelle Reize vorhanden sind. Den visuellen Reizen, also auch dem Lesen einer Zeitung, wird vom Gehirn den Vorzug gegeben und akustische Reize können nicht mehr wahrgenommen werden. Dagegen kann man sich scheinbar nicht wehren. Reagiert der Mann also nicht auf die Wut der Frau, hat das nichts mit Desinteresse zu tun. Vielmehr ist das Gehirn viel zu sehr damit beschäftigt, den Inhalt der Artikel zu verarbeiten.