Wachstumsfaktoren, wie IGF1, sind Proteine, die, wenn sie mittels Hydrogel ins Innenohr eingeführt werden, den Hörverlust nach einem Hörsturz lindern können.
Etwa 16.000 Deutsche erleiden jährlich einen Hörsturz. Es kann jeden treffen. Jederzeit. Am gefährdetsten sind, statistisch gesehen, zwischen 30- und 60- jährige Einwohner von Industriestaaten. Während die Ursachen noch nicht eindeutig geklärt sind – man geht von Durchblutungsstörungen als Hauptauslöser aus – ist die Diagnose klar definiert: Wenn eine plötzliche Gehör-Verschlechterung von mindestens 30 Dezibel (db) auf drei aufeinander folgenden Oktaven festgestellt wird, so spricht der Mediziner von einem „sensorineuralen Hörverlust“ (Hörsturz). 30 db, das ist halb so laut wie eine normales Gespräch. Bei 9 von 10 Patienten ist nur ein Ohr betroffen, oft jedoch bis zur totalen Taubheit und von Schwindel und Tinnitus begleitet. Diese Symptomatik muss in jedem Fall schnellstmöglich ärztlich behandelt werden, auch wenn sich einige Betroffene ohne Therapie erholen. Die Behandlungsmöglichkeiten sind jedoch bisher begrenzt. Die standardmäßig verabreichten Glukokortikoide helfen 80 % der Betroffenen, die restlichen 20% reagieren nicht auf diese Behandlung. Vorteil dieser Anwendung ist, dass sie systemisch erfolgt; das bedeutet, der Wirkstoff wird per Infusion verabreicht und muss nicht direkt ins Innenohr befördert werden.
Kleine Proteine in Gelatine
Verschiedene Studien belegen seit längerem, dass sogenannte Wachstumsfaktoren eine wirksame Alternative als Medikation von plötzlichem Hörverlust darstellen. Wachstumsfaktoren sind kleine Proteine, die als körpereigene Signalstoffe die Entwicklung von Organismen regulieren. Diese müssen jedoch im Gegensatz zu den Glukokortikoiden lokal verabreicht werden um die Folgen eines Hörsturzes zu lindern; das heißt, diese Proteine müssen direkt ins Innenohr transportiert werden, um ihre Wirkung zu entfalten. Was Medizinern bisher Probleme bereitete, gelang japanischen Forschern jetzt mit Hilfe eines sogenannten Hydrogels. Dabei handelt es sich um eine Gelee-artige Substanz aus Gelatine, die mit dem Wirkstoff versetzt und ins Mittelohr eingeführt wird. Dort wird das Gel enzymatisch abgebaut und die dadurch freigewordenen Wachstumsfaktoren gelangen ins Innenohr. Hydrogel-basierte Behandlungsmethoden von Innenohrerkrankungen wurden unter anderem von den Forschern Tsuyoshi Endo und Takayuki Nakagawa entwickelt. Im Vordergrund der Experimente stand dabei, dass das Gel im Ohr rückstandslos abgebaut werden kann. Takayuki Nakagawa und sein Team von der Kyoto Universität in Japan testeten die Wirksamkeit des Wachstumsfaktors IGF1 mittels Gelatine-Hydrogel an 25 Hörsturzpatienten, die nicht auf die herkömmliche Behandlung ansprachen. Bei vorangegangenen Tierversuchen hatte sich herausgestellt, dass IGF1 die Haarsinneszellen im Innenohr schützt. Diese empfindlichen Sinneszellen sind für das Hörempfinden essentiell.
Eine vielversprechende Studie
Die Behandlung der Testpersonen begann im Durchschnitt 29 Tage nach dem Hörsturz. Nach 12 Wochen stellte sich bei 48% der Betroffenen eine Verbesserung des Gehörs ein. Nach weiteren 12 Wochen war dieser Trend bei 56% der Behandelten zu beobachten. Obwohl kein Patient vollständig geheilt werden konnte, sprechen die Forscher von einem Erfolg, zumal keine gravierenden Nebenwirkungen festgestellt wurden. 7 der 25 Probanden bekamen Mittelohrentzündungen, die jedoch schnell wieder ausheilten. Die Behandlung von Hörsturz-Folgen mit IGF1 mittels Hydrogel könnte somit eine aussichtsreiche Methode für die Patienten sein, die nicht auf Glukokortikoide reagieren. Die Anwendung ist wirksam, gut verträglich und dank der Hydrogel-Methode klinisch einsetzbar.