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Sündenbock und Prügelknabe

Herkunft und gesellschaftliche Funktion des Sündenbocks. Gerade in Krisenzeiten ein beliebtes Tier: der Sündenbock. Einer muss Schuld sein an der Misere. Hat man den gefunden, dann spielt es keine Rolle, ob er schuldig ist.

Ob Fußballtrainer oder Topmanager, ob Hartz IV-Empfänger oder Migrant – jeder eignet sich zum Sündenbock und zum Prügelknaben. Und keiner ist davor gefeit, dazu gemacht zu werden.

Woher kommt der Begriff Sündenbock?

Der Sündenbock entstammt der Bibel (Levitikus 16, 8-21 f). Wenn das Volk Israel gesündigt hatte, dann wurden zwei Böcke aus der Herde einer Gemeinde ausgesucht. Per Los wurde entschieden, welcher der beiden dem Gott Jahwe geopfert werden sollte. Dieser Ziegenbock wurde zum Hohepriester gebracht. In einer Zeremonie legte der Priester dem Ziegenbock die Hand auf den Kopf und übertrug so alle Sünden und alle Vergehen des Volkes auf das Tier. Anschließend wurde der Bock – jetzt also der Sündenbock – in die Wüste geschickt, damit er die Sünden soweit wie möglich in die Einöde trage und damit das Volk von aller Schuld befreie.

Woher kommt der Begriff Prügelkabe?

Im Mittelalter (und auch später noch) wuchsen Prügelknaben, Jungen, die aus einfachen, ärmlichen Verhältnissen stammten, auf adeligen Höfen auf. Da adelige Kinder nicht von irgendjemandem, der unter ihrem Rang stand, gezüchtigt werden durften, musste der Prügelknabe stattdessen die Strafe über sich ergehen lassen, wobei der adelige Zögling dabei zusehen musste.

Wozu dienen Sündenbock und Prügelknabe?

  • Der Sündenbock stärkt das Wir-Gefühl und grenzt andere aus. Der französische Kulturanthropologe René Girard beschreibt in seiner mimetischen Theorie unter anderem den Sündenbockmechanismus: Wenn die Gewalt in einer Gruppe einen Punkt erreicht hat, an dem alle nur noch die Gewalt der anderen nachahmen und der eigentliche Auslöser vergessen wurde, dann ist der richtige Zeitpunkt gekommen, ein Zielobjekt, eine Person zu wählen, der man alle Schuld aufbürden kann. Dieser Sündenbock ist dann sozusagen das einheitstiftende Element. In diesem Alle-gegen-Einen-Akt der „Verstoßung“ wird die Gesellschaft wieder geeint, der Frieden wieder hergestellt.
  • Der Sündenbock ist ein perfektes Ablenkungsmanöver. Man muss sich nicht selbstkritisch mit dem eigenen Fehlverhalten auseinanderzusetzen, man muss überhaupt keine Fehleranalyse betreiben. Man bewahrt sich das eigene „Ich-bin-Ok-Gefühl“, indem man die Verantwortung auf einen anderen abschiebt.
  • Der Prügelknabe eignet sich wie ehedem wunderbar zum Aggressionsabbau. Gerade dann, wenn sich der Gegner nicht ausmachen lässt, weil er zu übermächtig oder nicht real greifbar ist, ist ein Einzelner, auf den man seine negativen Gefühle übertragen kann, ein gefundenes Fressen. Er dient dann als Ersatzobjekt, als Blitzableiter dem Abreagieren des Frustes.

Das Schicksal der Sündenböcke

Da ein Sündenbock „nur“ als Projektionsfläche dient, ist er meist ein wahlloses Opfer. Wehrt es sich gegen die Anschuldigungen, wird dies häufig als Schuldeingeständnis gewertet, als Bestätigung.

Die Hexenverfolgung im Mittelalter kann man somit in einem engen Zusammenhang mit den Mobbing-Opfern unseres Büroalltags sehen. Reale Schuld spielt keine Rolle. Nicht nur Schwache und Minderheiten eignen sich als Sündenböcke. Häufig sind es auch gerade die besonders Leistungsfähigen und Intelligenten, die z.B. aus Neid ausgegrenzt werden. Sündenböcke sind also nicht dafür verantwortlich, dass man sie auswählt. Die Hauptaufgabe eines Sündenbockes besteht deshalb darin, zu erkennen, dass er nicht dafür verantwortlich ist, dass er zur Zielscheibe gemacht wurde. Leider ist es so, dass der Sündenbock die Situation durch sein Verhalten kaum beeinflussen kann. Der oder die Aggressoren brauchen ein Opfer – um die Identität des Sündenbocks geht es dabei nicht. Das zeigt sich auch daran, dass wenn ein Sündenbock schließlich aus der Gemeinschaft entlassen oder verstoßen wird, sich alsbald eine neue Zielscheibe findet.