„Selbstmordgedanken waren an der Tagesordnung“
Spielsüchitge können dem Impuls zum Glücksspiel nicht widerstehen, auch wenn dies gravierende Folgen im persönlichen, familiären oder beruflichen Umfeld nach sich zieht.
„Manchmal hab ich nur noch gedacht, wo ist der nächste Baum oder die nächste Brücke. Es war schrecklich. Ich habe ein riesiges Lügengebilde aufgebaut. Die Spitze des Eisbergs konnte ich gar nicht mehr sehen. Der Spieldrang war so stark, ich war ihm schlichtweg ausgeliefert“.
Karl*, 53 Jahre, spielsüchtig.
Karls Spielerkarriere beginnt früh. In der Jugend spielt er mit Karten oder Würfeln um Geld. Später zockt er beim Billiard. Mit 23 dann der erste Besuch einer Spielhalle. Und der bleibt er treu. Jahrelang. Drei Jahrzehnte lang.
„Ich war in meiner eigenen Welt. Das um mich herum hat mich nicht mehr interessiert. Ich wollte einfach nur einmal der Gewinner sein. Und dann merkst du wie das Herz schlägt und der Körper spielt verrückt vor Aufregung. Und am Anfang gewinnt man ja auch.“
Nur noch das eine Spiel
„Euphorie, Langeweile oder der Wunsch nach Betäubung sind die anfänglichen Spielimpulse,“ so Dipl. Psychologe Thomas Pölsterl von Prop e.V. (Verein für Prävention, Jugendhilfe und Suchttherapie). „Im weiteren Krankheitsverlauf stehen Gedanken wie „Nur noch das eine Spiel“ im Vordergrund. Später dann die Jagd nach dem Big Win und die führt in den meisten Fällen ins finanzielle Fiasko.“
Karl spielt zuerst nur, wenn Geld da ist. Und er verdient nicht schlecht als Marketingmanager einer Münchener Werbeagentur. Später kommen Kredite und Darlehen dazu.
Der Teufelskreis beginnt
Seiner Frau tischt er immer absurdere Ausreden für sein Fernbleiben auf. Er erfindet Geschäftstermine, Autopannen oder Kollegen mit Liebeskummer. Gleichzeitig plagen ihn immense Schuldgefühle. Die betäubt er mit Spielen. Ein Teufelskreis.
„Ich hatte außen unter meinem Auto einen Geldbeutel befestigt. Mit Doppelklebeband. Ich war ein Profi in Sachen Verstecke suchen. Manchmal bin ich extra nur mit 50 Euro rein, aber nach einer Stunde waren die weg. Da bin ich dann unters Auto gekrochen und hab neues Geld geholt.“
Dennoch gelingt es ihm, die Fassade aufrecht zu erhalten. Im Job ist er zuverlässig, kreativ und funktioniert. Jeden Tag. Kein Mensch ahnt, dass er Abend für Abend neue Verluste in Kauf nehmen muss. Irgendwann kommt er vom Spielen nach Hause und kann nicht mehr. Zu dem Zeitpunkt lasten 150.000 Euro Schulden auf seinen Schultern. Seine Ehe scheint gescheitert, die Frau droht ihn zu verlassen.
„Ich weiß im Nachhinein auch nicht, warum ich nicht früher gestoppt habe. Da ist halt die Versuchung mit einem Euro Einsatz kannst du 250 Euro gewinnen. Das ist doch der Wahnsinn. Und ein Euro – was ist das schon?“
Die Spielverordnung wird geändert – zum Nachteil von Spielsüchtigen
Für die deutsche Staatskasse sind Gedanken wie diese Gold wert. Die Einnahmen aus Glücksspielen belaufen sich derzeit auf 4,5 Milliarden Euro pro Jahr. Tendenz steigend. Mit verantwortlich für die immer höher werdenden staatlichen Einkünfte aus Gewinnspiel ist die 2006 verabschiedete Novellierung der Spielverordnung. So wurde die Zeit, die ein Spiel höchstens dauern darf von 12 auf 5 Sekunden verkürzt, was eine höhere Frequenz der Spiele zur Folge hat und somit den Spieleinsatz in der gleichen Zeit mehr als verdoppelt.
Gerhard Stratthaus, CDU, Beauftragter für den Spielerschutz, kommentiert das folgendermaßen: „Man wollte die Möglichkeit geben, dass die Automatenindustrie eben hier tatsächlich bessere Geschäfte einfährt. In der Tat.“
Bessere Geschäfte mit Hilfe von 200.000 krankhaften Spielern. So die Schätzung. Die Dunkelziffer ist hoch. Denn Spielsucht gilt, so Thomas Pölsterl, „als noch verpönter als Alkoholsucht. Sie ist viel schamhafter besetzt und hat was noch Abartigeres. Außerdem liegt bei einer stoffungebundenen Sucht nahezu immer eine Grunderkrankung vor, wie etwa eine Depression. Das Spielen ist nur das Symptom. Deswegen ist die Behandlung langwierig, da die Ursache erkannt werden muss. Dann gibt es eine Chance symphtomfrei zu leben. Süchtig bleiben sie ein Leben lang.“
Karl findet einen Ausweg
Vor vier Jahren hat Karl den Weg in eine Selbsthilfegruppe geschafft. „Ich habe mich gefühlt wie auf dem Weg zum Schafott. Aber ich wusste, wenn ich jetzt nichts mache, lande ich unter der Wittelsbacher Brücke. Freunde hatte ich sowieso keine mehr. Bis heute wissen nur meine Frau und meine Schwester Bescheid. Noch traue ich mich nicht mich zu outen.“
Am Anfang geht Karl ein Mal die Woche in eine Selbsthilfegruppe, dann zwei Mal, aber die Mittwochsgruppe der „Anonymen Spieler“ hat sich wieder aufgelöst. „Wir treffen uns jetzt immer Freitags. Aber jeder Tag ist immer noch eine Herausforderung. Wir sind so 10 bis 12 Leute. Sie müssen sich das mal vorstellen: Für München! Nur 12 Leute die zugeben: Ich bin Spielsüchtig.“