Mangelhafte Förderung und Mobbing sind häufig. Der NRZ-Artikel „Hochbegabt und in der Schule ein Freak“ vom 23. September behandelt hauptsächlich die sozialen Probleme von hochbegabten Kindern und Jugendlichen.
Der genannte Artikel nimmt Bezug auf das 30-jährige Jubiläum der deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind. In Essen sind 160 Familien Mitglieder der Gesellschaft, jedoch schicken immer weniger Eltern von hochbegabten Kindern ihren Nachwuchs auf Essener Schulen, da die individuelle Förderung, auf die jedes Kind – unabhängig von sozialem Status und natürlicher Begabung – ein Recht hat, nicht in die Praxis umgesetzt wird.
Mobbing an Schulen ist an der Tagesordnung
Die hochbegabten Kinder und Jugendlichen haben den Verfasser des Artikels darum gebeten, nur mit geänderten Namen erwähnt zu werden aus Angst vor Mobbing durch Mitschüler und Lehrer. Auch ablichten lassen wollte sich keiner der Schüler.
Ein literarisch hochbegabter Schüler, der die neunte Klasse eines Gymnasiums in Essen-Steele besucht, berichtet davon, dass sein Lehrer ihn einmal dazu aufgefordert habe, wie ein Neuntklässler zu schreiben und nicht wie ein Erwachsener. Anstatt sich über die sicherlich sehr gute Qualität des Aufsatzes zu freuen, hat der Lehrer dessen Leistung und Begabung auf diesem Wege abgewertet. Andere hochbegabte Schüler berichten, als Freaks oder Sonderlinge abgestempelt zu werden und sich im Unterricht an den Regelschulen zu langweilen.
Auch die heimische Wirtschaft zeigt wenig Interesse
Während die Begabtenförderung in anderen Ländern gang und gäbe ist und besonders begabte Kinder dort gefördert werden, steckt die Hochbegabtenförderung hierzulande noch in den Kinderschuhen. Dass die Wirtschaft kein Interesse an besonders begabtem Nachwuchs hat, ist ein deutliches Indiz dafür, dass kritisches Denken in Verbindung mit einem besonders hohen IQ und speziellem Talent kurzsichtige, ausschließlich profitorientierte Lösungen schneller entlarven und kritisch hinterfragen würden. Dies würde sich insbesondere für schwarze Schafe in der Wirtschaft eher störend auswirken.
Hochbegabte wollen nicht anders sein als normal oder unterdurchschnittlich begabte Kinder, dennoch werden sie im negativen Sinne vielfach anders behandelt. Während es früher eher lernschwache Schüler schwer hatten, haben sich die Verhältnisse vielfach ins Gegenteil verkehrt.
Mobbing – ein gesamtgesellschaftliches Phänomen
Noch vor zwanzig Jahren hieß es, dass Mobbing meist schwache Personen betrifft; egal, ob es sich dabei um schlechte Schulleistungen, den sozialen Status oder psychische Labilität handelte. Heute kann Mobbing jedoch jeden treffen und in der Mehrzahl meist diejenigen, die etwas Besonderes zu bieten haben wie etwa ein bestimmtes Talent, einen überdurchschnittlichen IQ, sehr gutes Fachwissen auf einem bestimmten Gebiet etc. Dies liegt nicht nur im Neidfaktor begründet, sondern auch darin, dass engagierte, besonders begabte Menschen, die auch einmal auf qualifizierter Ebene unangenehme Themen ansprechen können, schon mundtot gemacht werden sollen, bevor überhaupt ein Änderungsprozess zum Positiven in Gang gesetzt werden könnte.
Show statt Köpfchen
Gleichwohl wird in den Massenmedien vielfach gezeigt, dass nicht außergewöhnliche Talente und Begabungen bewundernswert sind, sondern dass es heute scheinbar ausreichend ist, Hotelerbin zu sein, sich möglichst daneben zu benehmen, nur sein Äußeres zur Schau zu stellen usw., um ins Fernsehen zu kommen und Aufmerksamkeit zu erlangen. In einer oberflächlichen Welt, die zunehmend ausschließlich auf Äußerlichkeiten und Status ausgerichtet ist, haben Hochbegabte mit ihren besonderen Talenten und Fähigkeiten offenbar keinen Platz. Über hochbegabte Schüler wird in den Medien viel weniger berichtet – und wenn, meist nur auf dritten Programmen – als etwa über angehende Top-Models, wortkarge, talentfreie Hotelerbinnen und Schönheitsoperationen.
Probleme in der Hochbegabtenförderung
Solange es in Deutschland zu wenig Schulen zur Förderung von Hochbegabten gibt und die Lehrer dem Mobbing keinen Einhalt gebieten, sondern stattdessen lieber noch mitmachen, wird sich an der Situation für Hochbegabte in Deutschland wenig ändern und schon gar nicht, wenn den Eltern eines hochbegabten Kindes die finanziellen Mittel fehlen, um es auf eine der wenigen Privatschulen zu schicken, die sich auf Hochbegabte spezialisiert haben. Damit verschenkt Deutschland zu großen Teilen sein geistiges Potential. Angesichts dieser Tatsache sollten die Politiker aber auch nicht länger die Hände über dem Kopf zusammen schlagen, wenn Deutschland im internationalen Bildungsvergleich immer mehr zurückfällt.