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Selbstmord und Genetik – Eine Spur ist entdeckt

Das Max-Planck-Institut für Psychiatrie ist der Frage nachgegangen, ob Suizidneigung genetisch zu erklären ist. Eine aussichtsreiche Spur wurde gefunden.

Jedes Jahr versuchen auf dieser Welt zwischen 10 und 20 Millionen Menschen sich selbst zu töten. Rund eine Million Selbsttötungen gibt es nach Expertenschätzungen weltweit pro Jahr. 2007 haben in Deutschland 9.402 Menschen sich selbst getötet. Das sind immerhin 1,1 Prozent aller Todesfälle im Land. Und bei den Toten, die keine 30 Jahre alt wurden, ist jeder vierte Todesfall eine Selbsttötung.

3 bis 5 Prozent aller Menschen sollen in ihrem Leben einen Suizidversuch unternehmen. Bei Menschen, die unter Depressionen leiden, unternimmt gar jeder Dritte im Verlauf seines Lebens mindestens einen Suizidversuch.

Etliche Ergebnisse aus Zwillings- und Familienstudien lieferten bereits Hinweise darauf, dass die Neigung zum Suizidversuch eine genetische Ursache haben könnte. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München sind dieser Frage weiter nachgegangen. Sie haben jetzt eine Spur zu einem Gen gefunden, das Mitverursacher eines gesteigerten Suizidverhaltens bei depressiven Menschen sein könnte.

Der Forschungsansatz in München

In den Fokus der Wissenschaftler um die Neurowissenschaftlerin Elisabeth Binder am Max-Planck-Institut für Psychiatrie geriet das Rezeptor-Gen Tyrosin Kinase 2 (NTRK2). Das ist eine Bindestelle für den Nervennährstoff BDNF (Brain Derived Neurotrophic Factor) und hat eine wichtige Funktion für die zielgerichtete Netzwerkbildung von Nervenzellen. Das Forscherteam ging der Frage nach, ob sich genetische Unterschiede zwischen depressiven Menschen mit und solchen ohne Suizidversuchen nachweisen lassen. Dabei konzentrierten sie sich bei ihren Forschungen auf die Gene von BDNF und NTRK2. Denn diese wurden im Hirngewebe von Suizidopfern in geringeren Mengen gefunden als in den Hirngeweben anderer Verstorbener.

Martin Kohli und seine Kollegen untersuchten zunächst die Variationen in einzelnen Gen-Bausteinen bei 366 gesunden Personen und 394 Patienten mit verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen, von denen 113 Suizidversuche hinter sich hatten. Im BDNF-Gen wurden keine signifikanten Unterschiede entdeckt. Im NTRK2-Gen wurden dafür gleich drei Genvarianten identifiziert, die mit einem erhöhten Risiko zum Suizidversuch verbunden sind. Im Ergebnis steigt nach diesen Forschungsresultaten bei Depressiven das Risiko zu Suizidversuchen um einen Faktor größer als 4 an, wenn alle drei ungünstigen Genvarianten zusammen wirken.

Zusätzliche Untersuchungen an einer deutschen Patientengruppe mit 744 Depressiven und einer 921 Probanden starken afrikanischen Gruppe ohne psychiatrische Diagnosen, von denen 152 bzw. 119 Suizidversuche aufwiesen, bestätigte die gewonnenen Ergebnisse. Es scheint so zu sein, das die entdeckten Mutationen im Gen NTRK2 spezifische Ursachen für suizidales Verhalten sind.

Der Nutzen der Studie

Die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie hoffen, das mit den neuen Erkenntnissen Prävention und Therapie für die Betroffenen langfristig verbessern zu können. „Unsere Untersuchung weist erstmalig eine genetische Assoziation von NTRK2 mit Suizidverhalten nach und eröffnet uns damit detaillierte Studien um mögliche therapeutische Angriffspunkte an diesen Rezeptor zu identifizieren“, sagte dazu Elisabeth Binder, die Leiterin der Arbeitsgruppe Molekulare Genetik und Depression am Max-Planck-Institut.

Die Originalveröffentlichung

Martin A. Kohli, Daria Salyakina, Andrea Pfennig, Susanne Lucae, Sonja Horstmann, Andreas Menke, Stefan Kloiber, Johannes Hennings, Bekh B. Bradley, Kerry J. Ressler, Manfred Uhr, Bertram Müller-Myhsok, Florian Holsboer, Elisabeth B. Binder: Genetic Mutations Associated With Suicide Risk Among Patients With Depression, in: Archives of General Psychiatry 2010