Der Hauptgrund für Selbstmord im späten Frühjahr ist eine schwere Form der Depression, die nicht mit der Frühjahrsmüdigkeit verwechselt werden darf.
Strahlender Sonnenschein in Berlin, die Menschen freuen sich, den harten Winter hinter sich lassen zu können und genießen das Wochenende. Es ist Samstagnachmittag als der Mann auf die Brüstung klettert und springt, von der Dachterrasse in den Innenhof des Reichstagsgebäudes. Über die Hintergründe des Selbstmords ist nichts bekannt – ein einmaliger Fall mit einer individuellen Geschichte?
Leider nicht, Tatsache ist, so die Statistik seit fast 200 Jahren, dass die Suizidrate im späten Frühjahr und Frühsommer am höchsten ist. Kaum zu glauben, dass so viele Menschen müde vom Leben sind, wenn überall das Leben aufblüht und erwacht.
Die Ursache für die hohe Suizidrate im Mai / Juni ist eine schwere psychische Erkrankung. Die sogenannte Frühjahrsdepression darf weder mit der bekannten Frühjahrsmüdigkeit noch mit der Winterdepression verwechselt werden. Die Zeit des Auftretens und die Ursachen machen den Unterschied aus.
Winterdepression – Lichtmangel als Ursache
Der Auslöser für eine Winterdepression oder „saisonal abhängige Depression (SAD)“ ist eindeutig: dem Körper fehlt Licht! Die Folge: das stimmungsaufhellende Serotonin im Gehirn wird vermindert produziert. Gleichzeitig befindet sich im Körper vermehrt das Hormon Melatonin, das bei Dunkelheit produziert und bei Tageslicht abgebaut wird. Die größere Menge Melatonin führt im Winter zu einem höheren Schlafbedürfnis und lässt uns antriebsärmer werden. Die Maßnahmen zur Linderung der Winterdepression in der dunklen Jahreszeit sind einfach: der Körper braucht Licht, möglichst an der frischen Luft oder als Lichttherapie mit speziellen Therapielampen.
Frühjahrsmüdigkeit betrifft 50 % aller Deutschen
Nahezu die Hälfte aller Deutschen fühlt sich zu Beginn des Frühlings, wenn die Tage endlich wieder länger werden, müde, schlapp und lustlos. Das ist laut Experten völlig normal, wenn diese Phase nicht deutlich länger dauert als 14 Tage. Denn der Körper muss sich nach dem Winter an mehr Aktivität und das viele Licht erst gewöhnen. Bewegung im Freien und gesunde Ernährung helfen dem Stoffwechsel, sich auf den Frühling einzustellen. Die biologischen Ursachen sind noch nicht wirklich geklärt: denn mit den helleren Tagen wird der Melatoninüberschuss der Wintermonate wieder abgebaut und der steigende Serotoninspiegel wirkt antidepressiv. Das spricht eher für neue Energie und gute Laune!
Wenn sich hinter der Frühjahrsmüdigkeit eine ernste Störung verbirgt, hören die Symptome von Müdigkeit, Antriebsarmut, Schlafstörungen und Appetitlosigkeit nicht innerhalb von zwei Wochen auf. Vielmehr halten sie an bzw. verstärken sich sogar noch, wenn alle anderen längst aus ihrem „Winterschlaf“ erwacht sind.
Die Symptome einer Frühjahrsdepression
Die Symptome einer Frühjahrsdepression gehen weit über die Symptome von Frühjahrsmüdigkeit und Winterdepression hinaus und entsprechen den ICD-10 Kriterien einer Depression. Anhaltende depressive Verstimmung und das Fehlen von Freude und Interesselosigkeit an positiven Dingen stehen im Mittelpunkt. Dahinter verbergen sich negative Gedanken und Wertlosigkeitsgefühle bezogen auf sich selbst, auf andere und auf die Zukunft (negative Trias). Verbunden ist dieses mit dem Erleben tiefer Hilf- und Hoffnungslosigkeit. Der Satz : „Ich bin nichts, ich kann nichts, man mag mich nicht – und an allem bin ich selber schuld“ beschreibt diesen seelischen Zustand sehr dicht.
Die biologischen Erkenntnisse zur Frühjahrsdepression
Die Frage, warum die Suizidrate bei Depressiven im späten Frühjahr so hoch ist, kann die Forschung noch nicht ausreichend beantworten. Der Psychiater Prof. Volker Faust beschreibt u.a. folgende Ergebnisse:
- Untersuchungen an Selbstmordopfern verweisen auf einen Serotoninmangel im Gehirn
- gefährdet sind vor allem Menschen mit biologisch begründbarer, endogener Depression
- weiterer Faktor ist die erhöhte Wetterfühligkeit depressiver Menschen
Frühjahrsdepression und Selbstmordgefährdung
Ein Mensch, der sich in einer schweren Depression befindet, kann den schönen Seiten des Lebens nichts mehr abgewinnen und weist diese missmutig zurück. Wenn alle Menschen um ihn herum gut gelaunt und lebensfroh sind, fühlt sich der Depressive in seinem Leiden noch weniger verstanden. Daher setzt schönes Wetter und Sonnenschein depressiven Menschen häufig besonders zu. Die innere Verzweiflung und das Gefühl der Sinnlosigkeit kann bei latenter Lebensmüdigkeit zur Selbsttötung führen. Hier hilft auch kein Aufmuntern, um dem Depressiven zu helfen, aus seiner abgrundtiefen Hoffnungslosigkeit herauszukommen. Liegt der Verdacht einer Suizidgefährdung nahe, brauchen die Betroffenen umgehend fachärztliche Hilfe, Medikamente und Psychotherapie.