Die Heidelberger multimodale Schmerztherapie halbiert chronische Kreuzschmerzen bei Patienten mit Schmerzen und Depression: kein Grund für TNF-a-Blocker.
„Einen geraden idealen Rücken haben, ist eine Voraussetzung eines kultivierten Menschen“, bemerkt der österreichische Schriftsteller Peter Altenberg in „Pròdromos“, unidealerweise können auch ideale Rücken akute und chronische Rückenschmerzen verursachen. Akute Schmerzen haben eine sinnvolle und sogar lebenserhaltende Funktion, doch treiben chronische Kreuzschmerzen auch kultivierte Menschen in die Depression; bei chronischen Schmerzen hat der Schmerz seine heilende Funktion als Melde- und Schutzsystem verloren. Doch versprechen hier neue multimodale Schmerztherapien bei Patienten mit oder ohne Depression viel versprechende Ergebnisse: „Es scheint, dass beim Vorliegen einer Depression die multidisziplinären Inhalte der Schmerztherapie einen besonders nachhaltigen Effekt erzielen können“, erklärt Professor Dr. Marcus Schiltenwolf am 18. November 2010 das Ergebnis zweier neuer klinischer Studien der Orthopädischen Universitätsklinik in Heidelberg – sie wurden vor kurzem in der Fachzeitschrift „Arthritis Research & Therapy“ veröffentlicht. Prof. Schiltenwolf ist Leiter der Sektion Schmerztherapie an der Orthopädie.
Die multimodale Schmerztherapie enthält viele Arten der Behandlung
Ursprünglich wurden Rückenschmerzen als ein rein orthopädisches Krankheitsbild angesehen, mittlerweile beschäftigen sich aber viele unterschiedliche medizinische Fachbereiche mit der Schmerzkrankheit, immerhin leidet einer von fünf Erwachsenen an akuten oder chronischen Schmerzen. Bei der multimodalen Schmerztherapie ziehen Ärzte und Therapeuten verschiedener Fachrichtungen an einem Therapiestrang, sie arbeiten mit vielen (lat.: multi) Behandlungsarten (lat.: modi) an einem gemeinsamen Therapiekonzept: Hier gibt es als körperliche Therapien die Physiotherapie, medizinische Trainingstherapie und Sporttherapie sowie Arbeitstherapie mit dem Ergotherapeuten. Bei den psychologischen Therapien trainiert der Patient die Bewältigung seiner Schmerzen, sein gesundes Verhalten, lernt sich zu entspannen, therapiert sich per Partnertherapie und Biofeedback, kann aber auch in der Musiktherapie sein Tanzbein schwingen.
Die Forschergruppe teilte Patienten und Gesunde in drei Gruppen
An der klinischen Studie nahmen sowohl Patienten mit chronischen Rückenschmerzen als auch gesunde Probanden als Studienteilnehmer teil, es wurden drei Patientengruppen mit 29 Personen gebildet: „Wir haben sechs Monate lang die Therapieergebnisse bei chronischen Rückenschmerzen-Patienten mit und ohne Depression verglichen“, bemerkt Prof. Schiltenwolf zum so genannten Studiendesign. Ermittelt wurden die Stärke der Rückenschmerzen mit dem Fragebogen des „Roland-Morris Questionnaire“, es gilt als zuverlässige Standardmethode. Die Stärke der Depression wurde dagegen mit der CES-D-Skala ermittelt, es ist die deutsche Version der CES-Depressionsskala (Centre for Epidemiological Studies Depression Scale).
Die Rückenschmerzen gingen bei depressiven Patienten um die Hälfte zurück
Nach einer Behandlungsdauer von sechs Monaten wurden die Ergebnisse der Studie ermittelt, besonders profitierten Patienten mit chronischen Rückenschmerzen und Depression von der multimodalen Schmerztherapie, die Schmerzen gingen bei dieser Patientengruppe um 49 Prozent zurück, bei Patienten ohne Depression waren es dagegen nur 15 Prozent. Auch die Rückenfunktion verbesserte sich bei den depressiven Patienten stärker, über einen verbesserten idealen Rücken konnten sich 35 Prozent der depressiven Patientengruppe entzücken, bei den nicht-depressiven Patienten verbesserte sich die Rückenfunktion um 25 Prozent. Dagegen verbesserte sich die Lebensqualität in beiden Patientengruppen gleichermaßen deutlich.
Für TNF-α-Blocker des Tumor-Nekrose-Faktors-α gibt es momentan keine Begründung
Das Tumor-Nekrose-Faktor-α-Protein (TNF-α) spielt eine wichtige Rolle bei Entzündungen, sowohl bei der rheumatoiden Arthritis als auch bei chronischen Rückenschmerzen: Bei chronischen Rückenschmerzen ist der TNF-α-Spiegel im Blutserum signifikant erhöht, gebildet wird TNF-α hauptsächlich von so genannten Monozyten und Makrophagen, wird aber auch von stimulierten T-Zellen, NK-Zellen und Mastzellen des Immunsystems freigesetzt. Mittlerweile vermehren sich die Anzeichen, dass TNF-α auch bei der Chronifizierung von Schmerzen und im Verlauf von Depressionen eine Rolle spielt. Allerdings ist der TNF-α-Spiegel im Blutserum depressiver Rückenschmerz-Patienten ähnlich hoch wie bei den nicht-depressiven Leidensgenossen: „Für eine medikamentöse anti-TNF-α-Therapie, wie sie bei rheumatischen Erkrankungen zunehmend durchgeführt wird, gibt es deshalb bei chronischen Rückenschmerzen mit und ohne Depression aktuell keine Begründung“, folgert Prof. Schiltenwolf.
Weiterführende Literatur
Haili Wang et al. (2010): Influence of comorbidity with depression on interdisciplinary therapy: outcomes in patients with chronic low back pain. Arthritis Research & Therapy; Volume 12, Issue 5, R185.
Haili Wang et al. (2010): Influence of depression symptoms on serum tumor necrosis factor-α of patients with chronic low back pain. Arthritis Research & Therapy; Volume 12, Issue 5, R186. Sie können beide Original-Publikationen als Open-Access-Artikel kostenlos auf der Homepage von Arthritis Research & Therapy als pdf-Dokument herunter laden.