Seit Jahrtausenden geben Rituale dem Menschen Halt bei der Bewältigung seines Daseins. So verwundert es nicht, dass sie bis heute gepflegt werden.
Dem einen ist seine erste Tasse Kaffee auf der Terrasse und das Erspüren der Morgenluft ein tägliches Ritual, dem anderen die Zeremonie des Teetrinkens am Nachmittag. „Menschen brauchen Rituale“, sagt der Indologe Axel Michaels, Sprecher des Sonderforschungsbereichs „Ritualdynamik“ an der Universität Heidelberg. Nicht nur an Weihnachten und Osternbesinnt sich der Mensch auf Rituale. „Alle Gesellschaften hatten schon immer Rituale und werden sie auch in Zukunft haben“, so Michaels weiter. Rituale haben viel mit Ursprungsdenken zu tun. Sie bedienen sich strukturierter Mittel, um die Bedeutung einer Handlung sichtbar oder nachvollziehbar zu machen. Rituale geben Halt und Orientierung im Leben. In welcher Form Rituale auch immer ausgeführt und begangen werden – in der Gemeinschaft oder allein für sich, im sakralen Rahmen oder im profanen -, sie gehören zum Leben. Und vermutlich wird dies so sein, solange es Menschen auf der Erde gibt.
Der Background des Rituals
Der Begriff „Ritual“ leitet sich vom lateinischen ritualis – den Ritus betreffend ab. Ein Ritual läuft nach einer vorgegebenen Regel ab, die einen hohen Symbolwert verkörpert und in einem feierlichen Rahmen eingebunden ist. Begleitet wird ein Ritual von festgelegten Gesten, Wortabläufen und Zusprüchen. Rituale haben sich gebildet etwa der Begrüßung (Begrüßungszeremoniell), der Hochzeit oder auch der Beerdigung. Rituale finden hauptsächlich im menschlichen Miteinander statt und bilden dort geregelte Kommunikationsabläufe. Sie finden aber auch im Bereich des individuellen Verhaltens statt, wie es die eingangs erwähnte erste Tasse Kaffee auf der Terrasse tut, oder vor dem Schlafengehen, den Tag nochmals Revue passieren zu lassen.
Rituale sind in die jeweilige Kultur eines Landes und ihrer Handelnden eingebunden und unterscheiden sich in ihren Abläufen von denen anderer Kulturen. So läuft ein indisches Hochzeitszeremoniell anders ab als hierzulande. Es wird auf die in der jeweiligen Kultur verwurzelnden Mittel, Sitten und Bräuche zurückgegriffen, um die Bedeutung einer Handlung sichtbar zu machen und sie über die profane Alltagsbedeutung zu erheben und symbolisch darzustellen.
Rituale geben Halt und Orientierung
Rituale erleichtern den Umgang mit der Welt, indem sie Halt und Orientierung vermitteln. Sie helfen ferner bei der Bewältigung komplexer Aufgaben und nehmen Ängste vor schwierigen Situationen im Leben, indem sie krisenhafte Ereignisse in routinierte Abläufe überleiten. Werden Rituale in der Gemeinschaft vollzogen, haben sie oft einheitsstiftenden und einbindenden Charakter und fördern den Zusammenhalt. Gedacht ist hier an Initiationsrituale, die eine Aufnahmeprüfung in bestimmte Zirkel darstellen. Rituale dienen aber auch der Rhythmisierung zeitlicher und sozialer Abläufe. Rituale ermöglichen weiter die symbolische Auseinandersetzung mit Grundfragen der menschlichen Existenz, etwa dem Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Beziehung, dem Wissen um die eigene Sterblichkeit oder dem Glauben an eine transzendente Wirklichkeit.
Rituale, die Geheimnisvolles umgibt
Neben den ereignisbezogenen Ritualen, den Interaktions- oder den Initiationsritualen gibt es Rituale, die nur von „Eingeweihten“ verstanden oder praktiziert werden können. Es sind dies Rituale, die sehr stark von Geheimnissen geprägt sind. Bei ihnen sind Geheimlehren, Kulte und magische Riten mit im Spiel. Auch die Riten der Schamanen, die der Anrufung oder Beschwörung der Geister von Tieren, Pflanzen oder Verstorbenen dienen sollen, gehören hierher. Ebenso die der Azteken und Mayas. Schließlich gibt es sogar Ritualmorde, die rituelle Tötung eines Menschen also. Aus psychologischer Sicht sind sie Zwangshandlungen, die im Zusammenhang mit Zwangsstörungen von den Betroffenen gegen ihren Willen praktiziert werden. Nur sind diese Rituale gewiss nicht solche, die Halt und Orientierung geben.