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Religion und Selbstwertgefühl

Regiöse Erziehung beeinflusst das psychische Wohlbefinden.

Elemente von Religiosität können für Menschen ein entwicklungsfördendes Potenzial haben und ein positives Selbstwertgefühl bewirken.

Positives Selbstwertgefühl ist für das psychische Wohlbefinden des Menschen von grundlegender Bedeutung, einschließlich dem Bestreben es aufrecht zu erhalten oder zu steigern. Kaum etwas hat so permanenten Einfluss auf das menschliche Befinden wie das Selbstwertgefühl. Die Beziehung zwischen Religiosität und Selbstwertgefühl sowie die Frage, ob Religiosität das Selbstwertgefühl fördert oder beeinträchtigt, ist ein wesentlicher Bestandteil religionspsychologischer Forschung.

Wann beeintflusst religiöse Überzeugung das Selbstwertgefühl?

Religion kann das Selbstwertgefühl mindern, wenn Gott überwiegend als fordernd und richtend sowie der Mensch als böse dargestellt wird. Es kann zu zwangsneurotischen Entwicklungen kommen, wenn es beispielsweise eine überstrenge oder triebunterdrückende Erziehung gab, die den jungen Menschen verunsicherte. Religiosität kann das Selbstwertgefühl aber auch steigern. Religiöse Überzeugungen können nämlich selbstwertschützend sein, wenn sie den Glauben an den Schöpfer, an dessen Menschwerdung, seine Menschenliebe und übermenschliche Zuwendung darstellen.

Religion als Ressource positiver Energie

Glaube und Gebet sind Ressourcen, durch die man Gefühle des Nichtverstandenwerdens und des Abgelehntwerdens überwinden kann. Religiöse Überzeugungen müssen aber, um das Selbstwertgefühl positiv zu beeinflussen, von der Instruktion und Verkündung als Selbstannahme verdeutlicht werden. Dass heißt: Das Thema Selbstachtung sollte innerhalb der religiösen Gewissensbildung als zentrale Aufgabe und Kadinaltugend thematisiert werden. Elemente der Religiosität können ein entwicklungsfördendes Potenzial haben. Allerdings stellt Religiosität allein keine fertigen Selbstbewertungsmuster oder Strategien der Verhinderung von Selbstentwertung bereit. Sie motiviert jedoch zu dessen Entwicklung. Religion übt nach wie vor auf viele Menschen einen großen Einfluss aus. Mögliche Ursachen für abnormales Verhalten können in einer unzureichenden religiösen Aufklärung liegen. Außerdem könnte eine überstrenge, triebunterdrückende oder überbehütete religiöse Erziehung zu zwangsneurotischen Entwicklungen führen.

Stufen des religiösen Urteils von Oser und Gmünder

Das Stufenmodell des religiösen Urteils von Fritz Oser und Paul Gmünder ist in fünf Abschnitte untergliedert. In jeder Stufe wird die religiöse Denkweise und Orientierung erklärt.

In der ersten Stufe herrscht die Orientierung an einem Letztgültigen vor, der direkt in die Welt eingreift, sei es belohnend und behütend oder sanktionierend und zerstörend. Der Mensch erfährt sich als reaktiv und genötigt, sich im Sinne des Letztgültigen zu verhalten. Eine typische Antwort wäre beispielsweise: „Paul muss das Versprechen halten, sonst macht Gott, dass er Bauchweh bekommt.“

Stufe zwei ist von der Orientierung an einem Letztgültigen, mit dem ein Do-ut-des-Verhältnis („Ich gebe, damit du gibst“) gepflegt wird. Der Mensch kann auf das Letztgültige einwirken, sei es um sich vor möglichen Sanktionen abzusichern oder um dieses für eigene Ziele in Dienst zu nehmen. („Gott hat Paul geholfen, jetzt soll dieser auch etwas Gutes tun.“)

In der dritten Stufe geht es um die Orientierung an der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung des Menschen, die auch gegenüber dem Letztgültigen reklamiert wird. Diese erhält, sofern nicht in seiner Existenz bestritten (Atheismus) einen eigenen, vom Zuständigkeitsbereich des Menschen getrennten Sektor. („Paul muss sich selbst entscheiden. Wenn er das Versprechen nicht hält und es ihm schlecht geht, straft er sich selbst. Mit Gott hat das nichts zu tun.“)

Die vierte Stufe beschreibt die Orientierungan der Freiheit des Menschen, die fortan an das Letztgültige zurückgekoppelt wird. Dieses ist der transzendentale Grund menschlichen Daseins. Zudem wird in den bisherigen Wirrnissen des Lebens ein sinnhafter Plan erkannt, gemäß dem sich der Mensch auf ein Vollkommenderes hin entwickelt. („Gott will, dass sich Paul nach bestem Wissen und Gewissen selbst entscheidet.“)

Stufe fünf ist gekennzeichnet von der Orientierung an religiöser Autonomie durch unbedingte Intersubjektivität. Das Letztgültige werde im befreienden zwischenmenschlichen Handeln zum Ereignis. Der Mensch nimmt eine universale Perspektive ein, welche andere Religionen und Kulturen einschließt. Es bedarf keiner äußeren Organisation oder Sicherheit mehr, um religiös zu existieren.

Die Stufentheorie von Oser/Gmünder hat sich vor allem empirisch bewährt, auch wenn nicht alle Menschen bis zur Stufe fünf gelangen. Viele Menschen bleiben auf der dritten Stufe und steigen dort als Atheisten aus.