Die Belastungen der modernen Arbeitswelt erhöhen das Risiko für psychische Erkrankungen. Das Dilemma: Arbeitslosigkeit ist noch gefährlicher für die Psyche.
Psychotherapeuten schlagen Alarm: Immer mehr Menschen können aufgrund psychischer Erkrankungen ihre Arbeit nicht mehr ausüben. Grund dafür ist oft eine Überlastung durch die Anforderungen der modernen Arbeitswelt. Arbeitslosigkeit ist für das seelische Gleichgewicht allerdings noch gefährlicher.
Arbeitsunfähigkeit durch psychische Erkrankungen wie auch Burnout verdoppelt
Arbeitnehmer in Deutschland sind immer häufiger aufgrund von psychischen Erkrankungen arbeitsunfähig. Seit 1990 haben sich die Krankschreibungen in diesem Bereich nach Angaben der Bundespsychotherapeutenkammer verdoppelt. Mittlerweile gehen knapp elf Prozent aller Fehltage auf psychische Erkrankungen wie auch Burnout zurück, heißt es in einer neuen Studie der Kammer. Zudem gehen laut Zahlen der Deutschen Rentenversicherung Bund immer mehr Arbeitnehmer in Frührente wegen psychischer Erkrankungen. Auch die jährlichen Berichte an den Bundestag zum Berufskrankheitengeschehen zeigen, dass der Anteil der psychischen Belastungen unter allen gesundheitlichen Belastungen am Arbeitsplatz zunimmt.
Überforderung, Stress und Informationsüberflutung erhöhen Risiken für Mitarbeiter
Der moderne Mitarbeiter kann die an ihn gestellten komplexen Aufgaben oft nicht mehr bewältigen. Er steht ihnen hilflos gegenüber. Überforderung und damit Stress macht sich breit. Das Risiko, dass sich bei ihm eine psychische Krankheit entwickelt, steigt. Grund sind enge Deadlines, Arbeitsverdichtung durch Fusionen und Angst vor Arbeitsplatzabbau. Der Mitarbeiter wird mit Informationen, insbesondere elektronischer Nachrichten aller Art, überflutet und hat per Handy oder Blackberry immer erreichbar zu sein – und das verstößt gegen die menschliche Natur. Ein monotoner Arbeitsrhythmus, Schichtarbeit und dürftige stagnierende Bezahlung tun ihr Übriges. So mancher Vorgesetzte lobt die Arbeitsleistung seines Mitarbeiters nie („Keine Kritik ist Anerkennung genug“), doch Anerkennung ist für den Menschen sehr wichtig. Solch ein Chef alter Schule verlangt dazu noch bedingungslose Unterordnung, insbesondere in starren Hierarchien großer Unternehmen.
Arbeitnehmer nicht mehr selbstbestimmt, sondern fremdbestimmt
Der moderne Arbeitnehmer ist nicht mehr selbstbestimmt, sondern fremdbestimmt: Er fühlt sich nur noch als ein kleines Rädchen im übermächtigen System, da er das große Ganze nicht mehr erkennen kann. Ganz anders war es noch bei einem (früheren) Handwerker, der seinen Holzstuhl Teil um Teil selbst zusammensetzte und am Ende des Tages zufrieden sein Werk betrachten konnte. Auch deshalb fallen Handwerker und Arbeiter wesentlich seltener aufgrund psychischer Erkrankungen als Mitarbeiter aus Berufen der modernen Arbeitswelt aus, wie solche in Call Centern, im Sozial- und Gesundheitswesen sowie in den öffentlichen Verwaltungen, wie zahlreiche Krankenkassenreports der letzten Jahre feststellen.
So entwickeln Erwerbstätige bei einer Kombination aus hohen Anforderungen einerseits und geringem Einfluss auf den Arbeitsprozess andererseits überdurchschnittlich häufig psychische Erkrankungen. Dagegen ist der Anteil der psychischen Erkrankungen am Krankenstand in klassischen Arbeiterberufen wie in der Land- und Forstwirtschaft oder im Baugewerbe sehr viel niedriger als im Durchschnitt aller Erwerbstätigen. Psychisch gesund bleibt wohl, wer erlebt, dass er noch echten Einfluss auf seine Tätigkeitsabläufe und das Ergebnis hat und sein Arbeitseinsatz durch Wertschätzung und Vergütung angemessen honoriert wird.
Erschreckende Defizite im vorgeschriebenen Arbeitsschutz
Befragungen von Arbeitnehmern zeigen ein erschreckendes Bild der Arbeitssituation in manchen Unternehmen und große Defizite bei der praktischen Umsetzung des eigentlich vorgeschriebenen Arbeitsschutzes auf. Insbesondere Arbeitsüberlastung, die oft auf Arbeitsverdichtung, Mehrarbeit und Überstunden beruht, ist ein häufiges Phänomen.
Maßnahmen zur Abhilfe: Zeitmanagement, persönliche Bilanz und transparente Information
Welche Maßnahmen können Abhilfe schaffen, die ein Unternehmen oder der Mitarbeiter selbst gegen sein psychisches Ausbrennen ergreifen kann? Bewältigungsstrategien gegen dauernde Fehlbelastung sind ein effektives Zeitmanagement und die Vermeidung eines unangemessenen Zeitdrucks. Der Mitarbeiter muss auch mal Nein zu Chef und Kollegen sagen können. Er sollte von Zeit zu Zeit innehalten und Bilanz seiner Tätigkeit ziehen, um den Blick fürs große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren: Wem nützt meine Arbeit und/oder wem helfe ich damit? Der Vorgesetzte wiederum sollte seine Mitarbeiter transparent und frühzeitig über wichtige Entwicklungen informieren, auch wenn die Wahrheit manchmal wehtut. Sonst richtet es der Flurfunk, der selten 100 Prozent der Fakten trifft oder noch schlimmer: Die Psyche des Mitarbeiters macht dicht.
Work Life Balance und Trennung von Arbeit und Privatleben
Für den Mitarbeiter selbst ist es ganz wichtig, bei ersten Anzeichen von nicht mehr selbst bewältigbarem Stress am Arbeitsplatz, der langsam in eine psychisch bedenkliche Richtung driftet, das rechtzeitige Gespräch mit einer Person seines Vertrauens zu suchen, insbesondere mit Familienangehörigen und dem Hausarzt, aber auch mit Betriebsratsmitgliedern. Dafür sollte man neben all dem Arbeitsstress einen gesunden Freundes- und Familienkreis sowie eine positive Partnerschaft pflegen („Work Life Balance“). Eine klare Trennung von Arbeit und Privatleben ist in diesem Zusammenhang durchzuhalten. Auch Sport kann dem gestressten Arbeitnehmer helfen, aufgestaute Aggressionen sozialverträglich herauszulassen, besonders passend hierbei: Ballsportarten, Kontaktsportarten oder Dauersport.
Arbeitslosigkeit führt viermal so häufig zu psychischen Krankheiten
Jedoch führe mehr noch als berufliche Belastungen der Verlust des Arbeitsplatzes zu psychischen Erkrankungen, stellt die Studie der Psychotherapeutenkammer fest. Arbeitslose seien drei bis viermal so häufig psychisch krank wie Erwerbstätige. Der Verlust der Arbeit führe zu einer Sinnkrise.
Wirksame Prävention gegen psychische Risiken am Arbeitsplatz auch gegen Mobbing
Wichtig ist eine wirksame Prävention in den Betrieben. Die Arbeitsbedingungen müssten so gestaltet werden, dass ein positives Betriebsklima frei von Angst und Mobbing geschaffen wird. Dies ist der Grundstein, der sich am Arbeitsplatz entwickelnden psychischen Fehlentwicklungen entgegen gestellt werden kann. So kann das Risiko einer psychischen Erkrankung klein gehalten werden – auch in der modernen Arbeitswelt.