Anorexia nervosa, landläufig auch Magersucht genannt, ist eine schwere psychische Erkrankung. Es gibt Betroffene, die sich positiv damit identifizieren.
Kennzeichen der Anorexie ist vor allem starkes Abnehmen, teilweise bis zur lebensgefährlichen Unterernährung. Hinzu kommt die Überzeugung der Betroffenen, zu dick zu sein, und eine entsprechende Angst vor der Gewichtszunahme. Dies geben die Betroffenen aber nur sehr ungerne zu. Statt dessen ändern sie ihr Essverhalten und beschäftigen sich exzessiv mit ihrem Körper, vor allem mit dem Gewicht und dem Aussehen. Sie versuchen auf alle Arten zu verhindern, dass vermeintlich dick machende Nahrungsmittel verdaut werden – entweder durch Verzicht, durch Appetitzügler oder bewusst herbeigeführtes Erbrechen. Wichtiges Kriterium der Anorexia nervosa ist die Körperschemastörung, die felsenfeste Überzeugung der Betroffenen, zu dick zu sein. Diese Selbstwahrnehmung ist krankhaft, da sich die Betroffenen selbst noch als „zu fett“ empfinden, wenn sie an massivem Untergewicht leiden. Die „Pro Ana“-Bewegung hat dies zum Leitmotiv erhoben – anorektisch zu sein ist gut und die Mitmenschen versuchen nur, einen von dem Ideal des Untergewichts abzubringen.
Pro-Ana-Internetseiten schießen wie Pilze aus dem Boden
Wann und wo der Trend genau begonnen hat, weiß schon niemand mehr so genau. Doch in den USA tauchten im Laufe der 1990er-Jahre die ersten Internetseiten auf, welche die Magersucht nicht kritisch oder medizinisch im Sinne von Selbsthilfe thematisierten, sondern sie zum Gegenentwurf zu alt hergebrachten Vorstellungen von Selbstverwirklichung erhoben. „Thinspiration“ meint dabei die idealisierte Darstellung von Models und Prominenten, die selbst an Magersucht leiden oder ihre übertriebene Schlankheit zur Schau stellen. Die Betroffenen sollen ihren Idealen nacheifern und sich mit anderen an Magersucht Erkrankten in einem Wettbewerb des Hungerns messen. Das sichtbare Hervorstehen der Knochen unter der Haut wird zum Gradmesser des Erfolgs. Der Trend schwappte bald auch nach Deutschland über. Viele der Webseiten werden gesperrt und tauchen unter anderem Namen bald woanders wieder auf.
Kalorien zählen und Geheimhaltungstipps
Sich im Internet über persönliche Probleme und Anliegen auszutauschen, ist auf den ersten Blick etwas völlig Unproblematisches und häufig sehr Hilfreiches. Doch die Online-Welt der „Pro Ana“-Anhänger setzt mehr auf ein dogmatisches Szenedenken und den Gruppendruck, nach dem Motto: „Wenn du zu uns gehören willst, dann musst du dünner werden“. Wenn die Suchenden in den durchlauchten Kreis der Szene vorgedrungen sind, lernen sie schnell, wie sie die Symptome ihrer Erkrankung noch besser befördern und von der Außenwelt verstecken können. Dafür ernten sie fortan Anerkennung – und tragen somit noch stärker zur Chronifizierung des Leidens bei. Dies beginnt bei Tabellen von fettarmen Nahrungsmitteln und endet bei Ratschlägen, wie die Krankheit am besten vor den Eltern verborgen werden kann.
Ausdruck eines ernsten Problems
Es drängt sich der Eindruck auf, die Betroffenen wehrten mit der öffentlichen Zurschaustellung ihres Körpers und der positiven Identifikation mit der Erkrankung eine notwendige Auseinandersetzung mit dieser ab. Im anonymen Interview gestehen sie dies ein und betonen ihre Ohnmacht gegenüber der Krankheit. Anstatt ständig Ratschläge und Ermahnungen zu hören, wünschen sie sich anerkannt und akzeptiert zu werden. Die Krankheit wird in der Verherrlichung zum Vehikel für ein elementares Bedürfnis, welchem im Leben der Betroffen zu selten oder überhaupt nicht entsprochen wurde. An Bedingungen geknüpfte Zuneigung, vor allem an Leistungen und die Erfüllung formaler Normen der Eltern, könnte zu dieser Selbstverachtung geführt haben. Es ist klar, dass die Betroffenen mit ihren Sorgen und Wünschen ernst genommen werden müssen. Das „Pro Ana“-Phänomen muss in diesem Kontext als Hilferuf und deutliche Warnung verstanden werden.