Viele Arbeitsuchende fühlen sich schlecht oder unzureichend beraten. Nicht nur Arbeitslose, sondern auch Arbeitnehmer, die sich beruflich verändern möchten, nehmen häufig eine Beratung durch die Agentur für Arbeit in Anspruch.
Viele Ratsuchende beklagen, dass auf ihre individuellen Wünsche, Fertigkeiten und Begabungen keine Rücksicht genommen wird. Insbesondere Personen, die eine berufliche Veränderung anstreben, erfahren eher etwas über Alternativen, die aus etwaigen Gründen nicht möglich sind, als über neue berufliche Perspektiven, die in der Praxis umsetzbar sind. In vielen Fällen läuft das Beratungsgespräch zwischen Arbeitsvermittler und Ratsuchendem nach dem gleichen Muster ab – der Berater kennt sich vielfach nur in einem bestimmten beruflichen Bereich aus (kaufmännisch, gewerblich-technisch, handwerklich), wobei auch die Spezialisierung in den genannten Bereichen häufig eher mit einer Fixierung auf einen Teilaspekt des jeweiligen Bereiches gleichzusetzen ist. Es gilt offenbar das Motto „Einmal Sekretärin – immer Sekretärin“, wobei diese wenig engagierte Beratung häufig noch mit Schmeicheleien und Abwertungen anderer Tätigkeitsfelder untermauert wird. Beispielhaft seien hier Aussagen wie „Sie sind doch in dem Bereich so gut aufgestellt, warum möchten Sie denn überhaupt wechseln?“, „Der Beruf ist aber nicht sehr prestigeträchtig!“ oder „Da verdienen Sie aber weniger …“ genannt.
Auch künftige Schulabgänger fühlen sich oft unzureichend beraten
Eine ähnlich unzureichende Beratung gilt für Schüler und Schülerinnen, die eine Berufsausbildung oder ein Hochschulstudium anstreben. Es wird bei den Gesprächen eher auf derzeitige Moden auf dem Arbeitsmarkt abgestellt als auf die Wünsche und Möglichkeiten des Einzelnen. Vielfach fehlt das Vorausschauende in der Beratung – Berufe, die heute sehr gesucht sind, können in zwei Jahren wieder out sein, umgekehrt wird von manchen Berufen aus heutiger Sicht abgeraten, weil die Arbeitsmarktaussichten derzeit schlecht sind, in wenigen Jahren kann jedoch gerade in dem Bereich ein Fachkräftemangel vorliegen. Als prägnantes Beispiel hierfür kann der Ingenieurberuf genannt werden – vor gut zehn Jahren wurde Hochschulabsolventen dieses Studiengangs unabhängig von ihrer Spezialisierung gesagt, dass sie auf die Arbeitslosigkeit hin studiert hätten, heute besteht ein Fachingenieurmangel. Umgekehrt wurde vor zehn Jahren jedem technisch interessierten, studierwilligen Abiturienten geraten, Informatik zu studieren, weil im IT-Bereich ein hoher Arbeitskräftebedarf zu erwarten sei. Fakt ist jedoch, dass zwar nach wie vor IT-Fachkräfte gesucht werden, aber vielfach ohne Hochschulstudium; meist werden Absolventen bevorzugt, die eine praxisnahe Ausbildung, etwa zum Fachinformatiker, durchlaufen haben.
Persönliche Angriffe auf Ratsuchende
In nicht wenigen Fällen beklagen Arbeitssuchende, dass sie keine Beratung erfahren, sondern sich eher persönliche Anklagen und Vorurteile gegen ihre Person anhören können. Schülern, die nicht gerade über den allerbesten Notendurchschnitt verfügen (egal, ob Abitur, Fachhochschulreife oder Mittlere Reife) und zudem noch eher lässig gekleidet auf der Arbeitsagentur erscheinen, wurde mehrfach gesagt, dass sie mit ihrer Einstellung und ihrem äußeren Erscheinungsbild sehr schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, so dass für sie lediglich Anlerntätigkeiten in Frage kämen. Auch solche Aussagen haben nichts mit guter, umfassender Beratung zu tun, sondern sind als persönlicher Angriff auf einzelne Personen zu werten.
Hauptschüler werden im Anschluss an die allgemeinbildende Schullaufbahn häufig in Qualifizierungsmaßnahmen gesteckt, wobei auch dies nicht immer ein Garant für einen späteren Ausbildungsplatz ist. Gerade ihnen werden jedoch häufig auf der Arbeitsagentur Vorwürfe gemacht, warum sie über keine höhere Schulbildung verfügen. Diejenigen werden also abgewertet, weil sie schulisch nicht so begabt sind wie andere und/oder weil den Eltern finanziell die Möglichkeiten für Nachhilfe fehlten, um ihnen eine höhere Schulbildung zu ermöglichen. Probleme bei der Lehrstellensuche für Schüler mit Hauptschulabschluss sind erst seit gut zehn, fünfzehn Jahren signifikant zu verzeichnen, vorher war es auch für Hauptschüler meist nicht sehr problematisch, einen Ausbildungsplatz zu finden. Ihnen wird also die geänderte Arbeitsmarktpolitik, für die sie nichts können, zum Vorwurf gemacht.
Arbeitsagentur = Eheanbahnungsinstitut?
Gerade alleinstehende Frauen werden häufig gefragt, ob es ihnen nicht möglich wäre, kurzfristig eine feste Partnerschaft einzugehen bzw. einen Mann aus dem gewünschten Tätigkeitsfeld zu heiraten, um so die materielle Versorgung und ggf. noch den gewünschten Berufswechsel der Ratsuchenden sicherzustellen. So erging es u. a. einer zum damaligen Zeitpunkt arbeitslosen Sekretärin, die eine Tätigkeit als Pferdewirtin anstrebte und sich in diesem Bereich in ihrer Freizeit weiterqualifiziert hatte (also ohne Zutun der Arbeitsagentur). Ihr wurde geraten, einen Landwirt zu heiraten, der über ein Gestüt verfügt. Auch andere arbeitsuchende, alleinstehende Frauen können über ähnliche Erfahrungen berichten.
Freie Berufsberater
Zunehmend gibt es auf dem Markt freie Berater – häufig Diplom-Pädagogen, Lehrer und andere Geisteswissenschaftler – die auf freiberuflicher Basis Berufsberatungen anbieten. Im Gegensatz zu den Vorschlägen, Moralisierungen und Abwertungen der Arbeitsagentur wird hierbei jedoch auf die Neigungen, Wünsche und Fertigkeiten des Einzelnen eingegangen, gleichzeitig verfügen diese Personen meist über einen Gesamtüberblick der Arbeitsmarktsituation und kennen nicht nur einen sehr eingeschränkten Teilbereich. Oft sind sie in der Lage, sinnvolle, praxiserprobte Tipps zum Quereinstieg in bestimmte Berufsfelder zu geben.