Pilgerreisen sind Auszeiten, die auch auf den deutschen Etappen des Jakobsweges seelische Entspannung und ursprüngliche Naturerlebnisse bieten.
Der Brauch des Pilgerns bedeutet, in der Fremde unterwegs zu sein, einem Weg folgend. Pilgern erlebte seine Blütezeit im Hochmittelalter. Santiago entwickelte schon früh eine starke Anziehungskraft, nachdem man dort das Grab des Apostel Jakobus entdeckt haben wollte. Man unterscheidet zwischen ortsorientierter Wallfahrt und Pilgern.
Pilgern besitzt im engeren Sinne historische Wurzeln im Mönchstum seit der Antike. Unterwegs zu sein wurde als Hingabe an Gott empfunden. Der Weg ist das Ziel. Symbolisch mit dem Lebensweg verknüpft.
Pilgerreisen von Ost nach West als Lebenszyklus
Klösterliche Pilgertraditionen entwickelten grundlegende Vorstellungen, die Pilgern mit der Symbolik menschlicher Lebenszyklen verbanden. Die christliche Mystik beschreibt die menschliche Seele als ständig unterwegs auf ihrem Weg zu Gott. Das Leben fließt durch verschiedene Stadien, immer bewegt und gerichtet auf die Schöpfung. So gilt das Pilgern als äußeres Zeichen für den inneren Weg. Menschsein als Entwicklungsprozess, Selbsterfahrung als Verarbeitungsmöglichkeit für lebensverändernde Umstände.
Man begann die Pilgerschaft aus der Himmelsrichtung des Sonnenaufgangs, dem Osten. Der Sonnenaufgang symbolisiert den Beginn, die Geburt am Anfang des Lebens. Die Ausrichtung der Pilgerstrecken wie bei dem Wegenetz der Jakobswege führt dem Sonnenuntergang entgegen. So lässt jeder Pilgertag den Lebenszyklus nachvollziehen. Pilgerreisen auf dem Jakobsweg orientieren sich nach der westlichen Himmelsrichtung zum Meer. Symbolkraft für schöpferische Unendlichkeit. Das seelische Leben als Fluss zum göttlich Universellen, als Zulauf zusammen fließend. Ende und Neubeginn zugleich. Ein ewiger Kreislauf.
Anfang und Ende einer Pilgerreise auf dem Jakobsweg
Es gibt nicht nur einen Jakobsweg. Er besteht aus vielen Wegenetzen quer durch Europa. Ihre Gemeinsamkeit liegt darin, dass sie alle in letzter Konsequenz auf den Westen Spaniens ausgerichtet sind, nach Santiago de Compostela. Würde man das Wegenetz des Jakobsweges von seinem östlichsten Ausgangspunkt bis zum spanischen Wallfahrtsort pilgern wollen, wären mehrere tausend Kilometer zu überwinden. So wird es zunehmend üblich, ausgewählte Etappen des Jakobsweges zu pilgern.
Da der Weg das Ziel ist, muss nicht der Camino de Santiago mit dem Erreichen des Grabes von Apostel Jakobus in Spanien enden. Ausgewiesene Pilgerpfade bieten kulturhistorisch reizvolle Teilstrecken. So machen viele Deutsche im Urlaub ihre ersten Pilgererfahrungen auf den mehr als 55 deutschen Etappen. Vielfältige Landschaften ohne Sprachbarrieren zu erleben, faszinierende Bauwerke und gemütliche Gasthöfe sprechen für Deutschland. Ohne aufwändige An- und Abreisen bieten deutsche Routen authentische Naturerlebnisse und spirituelle Erfahrungen fast vor der eigenen Haustür.
Pilgern in Etappen auf dem Sternenweg
Jakobswege werden auch als Sternenwege bezeichnet, da man sich in alter Zeit die Sterne der Milchstraße als Wege der Seelen vorstellte. So wird diesen Wegen, denen schon Millionen von Menschen folgten, eine besondere Energie und Atmosphäre zugesprochen. Der Schriftsteller Antoine de Saint-Exupèry beschrieb in der Begegnung des kleinen Prinzen mit dem Fuchs sehr treffend, wie man auch die Erwartungen an eine Pilgerreise beschreiben könnte:
Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar.
So verändert das Pilgern die Wahrnehmung. Man nimmt sich eine Auszeit vom Alltag, ist auf dem Weg und doch ganz bei sich selbst. Die Sinne schärfen sich und die Konzentration auf Wesentliches wächst. Auch ohne religiösen Hintergrund wird die ursprüngliche und entspannte Pilgerreise zur prägenden Erfahrung. Umkehrpunkte und Ziele von Pilgeretappen stehen Menschen symbolisch nicht nur für ein Ende, sondern auch für einen Neubeginn. Pilgern wirkt selbstreinigend. Aus dem unmittelbaren Naturerlebnis als Wanderschaft, mit dem Fahrrad oder zu Pferd wachsen neue Kraftreserven, um Belastungen zu überwinden, Bilanz zu ziehen und sich neu zu orientieren.
Pilgern im Urlaub als wertvolle Erfahrung und Erholung
Die positiven Impulse und gesundheitsfördernden Aspekte von Pilgerreisen wurden auch in Deutschland in den letzten Jahren zunehmend wiederentdeckt. Sehnsüchte der Menschen nach einer Auszeit von Informationsflut und Alltagsbelastungen machen Ursprüngliches und Bewährtes wertvoll. Jeder Mensch durchlebt Lebensphasen, von seiner Kindheit bis zum Alter. Eine Abfolge von Lebensereignissen und Erfahrungen, die den Lebensweg beeinflussen.
In der zivilisierten Welt fehlt es oft an notwendigen Ritualen und Traditionen, um den Beginn einer neuen Lebensphase zu verarbeiten. Auch der Umgang mit plötzlichen Schicksalsschlägen, Krankheit, Tod, Existenzängsten und Orientierungsbedürfnissen ist häufig nicht mehr natürlich und selbstverständlich im Familien- oder Freundeskreis möglich. Das Internet versachlicht Kontakte zusätzlich. Viele Menschen empfinden einen unaufhörlichen Druck der modernen Gesellschaft, funktionieren zu müssen. So werden normale Gefühle der Angst, Trauer und Unsicherheit unterdrückt und verdrängt, um im hektischen Alltag zu überleben.
Pilgern erscheint als naturverbundene Möglichkeit, um zur Ruhe zu kommen. Entspannt unterwegs zu sein, auf dem Weg zu sich selbst. Erholung pur ohne Urlaubsstress und hektische Freizeitziele. Um mit sich selbst ins Reine zu kommen und einen langanhaltenden Mehrwert für neue Lebensenergie zu erhalten.