Die einsame Alternative zum nördlichen Santiago-Weg. Auf dem südlichen Jakobsweg ist Ruhe Programm. Auf der Strecke von Sevilla nach Santiago sind kaum Wanderer unterwegs. Die Infrastruktur für die Pilger steht.
So weit das Auge reicht erstreckt sich eine sanfte Hügellandschaft mit Steineichenwäldern. Pata Negra-Schweine verteilen sich in der weitläufigen Ebene auf der Suche nach Eicheln, den bellotas, die das Qualitätszeichen für den iberischen Schinken sind. Die Extremadura, eine der am wenigsten besiedelten Regionen Europas, ist der ideale Ort, um auf einsamen Pfaden seltene Tiere zu beobachten, eine fast unberührte Natur kennen zu lernen und beim Wandern nachzudenken – es ist die ideale Gegend zum Pilgern. Von Sevilla aus kann man durch die Extremadura einer langen Pilgertradition nach Santiago de Compostela folgen. Denn auch im spanischen Süden ergriffen Christen im Mittelalter den Pilgerstab. Auf deren Spuren kann man in der Extremadura eine in Vergessenheit geratene Pilgerstrecke erkunden. Das zunehmende Interesse der Region an der Einkommensquelle Tourismus und die in den vergangenen Jahren erfolgte Instandsetzung des Weges bringen aber jedes Jahr mehr Pilger in die Extremadura.
Auf der alten Römerstraße
Die heute so einsame Landschaft um den südlichen Jakobsweg, auch als mozarabischer Pilgerweg bekannt, hat eine lange Besiedlungsgeschichte. Schon die Römer lebten im Westen der iberischen Halbinsel und schickten ihre ausgedienten Soldaten in die „Emerita Augusta“, das heutige Mérida. Die erste Handelsstraße zwischen dem Süden und dem Norden bauten die Römer. Die großen Steinblöcke des antiken Weges sind heute noch an einigen Stellen erhalten. Die Westgoten passierten und schließlich kamen die Mauren, auf die auch die heutige Bezeichnung Via de la Plata zurückgeht. Nicht Silberweg, wie man annehmen könnte, bedeutete der Name, sondern „Weg aus Steinen“, was das arabische „Bal´latta“ bedeutet. Nach der Rückeroberung und der Entdeckung des Grabes von Santiago de Compostela begannen die Christen zu dem Wallfahrtsort im heutigen Galizien zu pilgern. Damit bekam der alte Römerweg nach tausend Jahren wieder eine Bedeutung. Wer Ruhe und Besinnung sucht, oder einfach beim Wandern die spanische Geschichte, kulinarischen Genüsse und die Natur kennen lernen will, ist auf der heutigen Via de la Plata auf dem richtigen Weg.
Der heutige Weg der Pilger besteht südlich und nördlich der Extremadura aus vielen kleinen Wegen, die eine gemeinsame Wegstrecke vereint. Zwischen Mérida und Granja de Moreruela, 40 Kilometer nördlich von Zamora, verläuft ein einziger Weg. Von Sevilla, Granada und Córdoba aus führen drei Wege den Pilger bis nach Mérida. Von Granja de Moreruela aus, dem Endpunkt des Pilgerwegs in der Extremadura, gelangt man wiederum auf zwei Wegen nach Santiago de Compostela. Der erste folgt der alten Römerstraße nördlich nach Benavente und dann nach La Bañeza und stößt in Astorga auf den französischen Jakobsweg. Der zweite Weg führt direkt in Richtung Nordosten über Sanabria und Orense nach Santiago de Compostela. Zwischen La Gudiña und Orense bietet diese Variante noch einmal zwei Möglichkeiten. Die etwas längere Route führt über Verín, Ginzo de Limia und Allariz, die andere etwas kürzere Strecke über Laza, Vilar de Barrio und Xunqueira de Ambía.
In elf Tagen durch die Extremadura
In elf Tagesetappen lässt sich die Extremadura zu Fuß auf der Via de la Plata durchqueren. El Real de la Jara ist das letzte Dorf in der andalusischen Provinz Sevilla, bevor man in die Extremadura eintritt. 700 Meter weiter nördlich beginnt der Pilgerweg an dem Fluss Arroyo de la Vibora. Die erste Etappe ist 21 Kilometer lang und führt in die Ortschaft Monasterio. Auf der Brücke ist auch der erste Informationspunkt der Route. Rechts lässt man die Ruinen der Burg Castillo de Las Torres liegen.
Gute Karten im Gepäck sind Pflicht für den Wanderer, denn die Beschilderung ist auf dem mozarabischen Weg längst nicht so gut wie auf dem französischen Weg – oft muss man die Intuition walten lassen. In Sevilla weisen moderne Steinquader die Richtung, in Extremadura sind es Informationstafeln. Zamora hat nur jedes Dorf mit einem Stein ausgestattet und in Orense hat der Bildhauer Nicanor Carballo die Pilgersteine auf der Strecke entworfen. Fast die gesamte Route führt über Feldwege, Straßen kann der Pilger fast immer vermeiden. Teilweise setzt man den Wanderstiefel sogar auf Teile der historischen Römerstraße, am besten erhalten ist ein Wegstück bei Alcuéscar.
Schlafen in leeren Herbergen
Im Frühling beginnt das Leben auf den Pilgerwegen, in der Extremadura noch sehr zaghaft. Die wärmende Frühlingssonne lockt Tiere und Pflanzen hervor und die üppige Flora und Fauna der Extremadura entfaltet sich. Im Winter und im Sommer hat man den sowieso einsamen Weg ganz für sich allein. Kaum einer verirrt sich in der trockenen Kälte oder unter der sengenden Sonne auf die Via de la Plata. Dann ist der Moment gekommen, in dem die einsamen Sinnsucher zum Pilgerstab greifen und sich Schritt für Schritt Santiago de Compostela und sich auf den Spuren von Paulo Coelho und Harpe Kerkeling auch sich selbst nähern. Dann sind die Herbergen leer, die Betreiber freuen sich darauf, mit jedem Wanderer zu philosophieren und die Dorfbewohner klopfen einem bewundernd auf die Schulter – die menschliche Wärme ersetzt die heißen Sonnenstrahlen. Die Bewohner der Dörfer entlang der Via del Plata kennen den Pilgertourismus noch nicht. Sie freuen und wundern sich über jeden, der – freiwillig ! – beschließt, zu Fuß einen so weiten Weg auf sich zu nehmen. Die Erfahrung ist für den Pilger aus dem Süden eine andere als für denjenigen, der sich für den französischen, den klassischen Weg entscheidet. „Die Pilger aus dem Norden sind bei der Ankunft in Santiago oft traurig, weil sie sich von ihren Mitpilgern verabschieden müssen, denen sie auf den fast 1000 Kilometern näher gekommen sind,“ heißt es in einem Pilgerführer. Auf dem südlichen Weg erwartet den Wanderer kein Fest und kein Trubel, sondern wahre Einsamkeit.