Das neue Energiekonzept der Bundesregierung sieht eine zwangsweise Totalsanierung möglichst sämtlicher Gebäude auf einen Null-Energie-Standard bis 2050 vor.
Null-Energiehäuser sind Gebäude, die eine so perfekte Wärmedämmung aufweisen, dass sie keine Energie verbrauchen. Durch ein ausgeklügeltes System von Wärmedämmung und Abwärmenutzung soll keine Energie zum Beheizen mehr zugeführt werden müssen. Optimal ist es zusätzlich, wenn auch der Strombedarf zum Beispiel aus Solar- oder Windenergie gedeckt wird. Es sind sogar Gebäude entwickelt worden, die mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen, sogenannte Plus-Energie-Häuser.
Leben und Arbeiten in einer Plastiktüte
Bereits nach der ersten Ölkrise in den 1970er Jahren wurde begonnen, Gebäude mit zusätzlicher Wärmedämmung und Abdichtung aller offenen Fugen zu versehen. Besonders Gebäude aus den 1950er und 1960er Jahren waren, zu Zeiten des Ölüberflusses ohne besondere Beachtung des Energiebedarfs gebaut worden. Wohnblocks wurden nach dem Krieg schnellstmöglich und kostengünstig hochgezogen. Nun wurden diese, wiederum mit möglichst einfachen Mitteln mit innen angebrachten Dämmplatten, möglichst noch mit Aluminium kaschiert, Thermotapeten und ähnlichem versehen. Zusätzlich wurden Kunststofffenster eingebaut, die überhaupt keine Luft mehr hindurch ließen. Der Erfolg war, dass nach kurzer Zeit zuerst in allen Feuchträumen Schimmelbildung auftrat, später auch in vielen Wohnräumen.
Bei älteren Gebäuden mit mehrschaligem Mauerwerk traten Durchfeuchtungen in einer der inneren Schichten auf, die bis zu Auflösungen der Mörtelschichten führten. Der Sanierungsingenieur wurde in den 80er Jahren ein neuer Berufszweig im Baugewerbe. Der fehlende Luftaustausch, oft noch verstärkt, weil die Bewohner möglichst wenig die Fenster zum Lüften öffnen, führt zu Allergien, weil die Wohnräume zusätzlich mit modernen, Schadstoffhaltigen Materialien ausgestattet werden. Um überhaupt einen Luftaustausch zu ermöglichen, werden nun automatische Belüftungssysteme eingebaut, die den Bewohnern die Frischluft gereinigt, gefiltert und vorgewärmt zuteilen und die verbrauchte Innenluft energetisch verarbeiten, ihr möglicherweise Wärme entziehen, um diese wieder zu nutzen.
Abriss aller Gebäude älter als 20 Jahre?
Den gesamten Gebäudebestand der Republik in 40 Jahren derart zu sanieren, übersteigt zuerst einmal die Kapazität des Baugewerbes. Sodann sind die Kosten für die Eigentümer nicht finanzierbar. Bei einem älteren Gebäude übersteigen die Sanierungskosten den Gebäudewert. Eigenheimbesitzer, die sich ausgerechnet haben, bis zum Lebensende vielleicht ihr Häuschen abbezahlt zu haben, müssen dieses auf die Enkel übertragen. Mieter müssen mit Mieterhöhungen, aus der Umlage der Kosten rechnen, die sie zur sofortigen Kündigung zwingen. Die Stadt- und Ortsbilder werden sich total verändern, weil kein Gebäude verschont wird und nicht sanierungsfähige Altbauten abgerissen werden müssen. Großbauten, wie Kirchen, Sporthallen und Industriegebäude sind ohnehin nicht auf diesen Standard zu bringen. Denkmalgeschützte Gebäude fallen als Erste der Abrissbirne zum Opfer.
Ein achtsames, vernünftiges Energiekonzept ist möglich
Eine Vielzahl von Studien belegt seit Jahren, dass der vorhandene Energiebedarf in Deutschland mit Erneuerbaren Energien Klima schonend gedeckt werden kann. Sowohl Strom, als auch Wärme und Kraftstoffe können aus Erneuerbaren Energien bis 2050 hergestellt werden. Das betrifft den Energiebedarf des status quo. Gleichzeitig kann durch Einsparungen mit vorhandenen Mitteln der Bedarf kurzfristig um mindestens 30% gesenkt werden. Wenn nun noch dort, wo es technisch möglich und für Mensch und Gebäude verträglich eine zusätzliche Reduzierung des Energieverlustes geschaffen wird, kann der Bedarf um weitere 25% gesenkt werden.
Ein sinnvolles Nahverkehrssystem reduziert nicht nur den Kraftstoffbedarf erheblich, sondern auch den Stress der Verkehrsteilnehmer. Es sollte also ein Leichtes sein, ohne die Volkswirtschaft über Gebühr zu beanspruchen, sondern sogar durch Einsparungen und die Investitionen in sinnvolle Energieerzeugungs- und Sparmaßnahmen diese zu stärken. Nicht nur das Stadtbild als vertraute Kulisse, sondern das Heimatgefühl können erhalten bleiben.
Vielleicht lassen sich sogar alte Gebäude vor dem Abriss bewahren, indem man sie behutsam saniert und nicht verfallen lässt, weil sie gestiegene Anforderungen nicht mehr erfüllen. Allein mit diesem sorgfältigen Umgang mit der gebauten Umwelt, vernünftigen Nahverkehrskonzepten kann also der Energiebedarf um mindestens die Hälfte gesenkt, die Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien und die Klimaschutzziele viel eher erreicht werden.
Ein Gebäude ist wie ein Anzug
Die menschliche Haut ist unser größtes Organ und für den Austausch mit der Außenwelt verantwortlich. Sie muss atmen können und Feuchtigkeit hindurch lassen, transpirieren. Die Erfahrungen mit luftdichter Kleidung, den berühmten Nylonhemden der 1960er und 1970er Jahre haben uns fühlen lassen, wie wichtig eine gewisse Durchlässigkeit ist. Gleiches gilt für Gebäude. Die Außenwand ist eine weitere Haut der Bewohner. Diese erzeugen Wasserdampf, der hinausgelangen muss und brauchen Frischluft von außen. Unser gesamter Organismus hat sich in seiner Entwicklung vom Leben im Wasser auf das Leben in dieser Atmosphäre eingestellt. Er ist besiedelt mit Milliarden an Keimen, Bakterien, ja Viren, Parasiten mit denen er sich arrangiert hat. Er hat eine eigene Abwehr entwickelt, die ein Gleichgewicht der Kräfte hergestellt hat. Werden auf der Angreiferseite Eingriffe vorgenommen, ist die Abwehr im Übergewicht, es entstehen Allergien, Überreaktionen. Wird die eigene Abwehr geschwächt, entsteht Krankheit. Alle Gebäude, die Jahrzehnte, ja Jahrhunderte überstanden haben, haben so ein Gleichgewicht hergestellt. Bewohner von Altbauten fühlen sich berechtigterweise wohl in ihrem Heim, ihrer Umgebung. Dieses Gleichgewicht gilt es zu erhalten, ja zu fördern.