Die Studienlage für Oleum Oenotherae Biennis ist noch zweifelhaft.
Da haben wir den Schinkensalat!: „O. biennis L. (Onagra biennis Scop., Gartenrapunzel, Siebenschläfer, Schinkensalat) stammt aus Virginia, ist seit 1614 in Europa verbreitet und jetzt bei uns verwildert,“ stellte 1908 ein alter Schinken namens Meyers Großes Konversations-Lexikon über den Neophyt Nachtkerze fest – Schinkensalat ist ein alter Begriff für das neu eingebürgerte Nachtkerzengewächs Gemeine Nachtkerze. Als essbare Wildpflanze ist die Nachtkerze zwar keine Vitamin-C-Bombe wie das Schmalblättrige Weidenröschen, gegenüber dem Weidenröschen ist die Nachtkerze aber auch kein Geheimtipp für gutartige Vergrößerungen der Prostata, das Nachtkerzenöl ist ein Geheimtipp für problematische Haut.
Die Nachtkerze ist eine essbare Wildpflanze
„Lass deine Nahrung deine Medizin sein und deine Medizin deine Nahrung!“, etwa 500 vor Christus meinte damit Hippokrates von Kos wohl nicht das Hexenkraut aus der Familie der Nachtkerzengewächse, wohl aber das Weidenröschen und die Nachtkerze. Die Stängel und Blätter der Nachtkerze sind als Wildgemüse essbar, auch die Wurzel eignet sich als „Schinkenwurz“ wie die unreifen Früchte zum Kochen – früher wurde die Nachtkerze auch als Gemüsepflanze angebaut. Isst man die Nachtkerze nicht als Gemüse auf und lässt die Samen reifen, kann man aus den Samen ein wertvolles Samenöl gewinnen, Apotheker nennen das fette Öl auch Oleum Oenotherae Biennis oder Oenotherae Biennis Semini Oleum.
Oleum Oenotherae Biennis ist reich an mehrfach ungesättigten Fettsäuren
Leit-Fettsäure des Nachtkerzenöls ist die Omega-6-Fettsäure Linolsäure, etwa 65 bis 80 Prozent der zweifach ungesättigten Linolsäure (C18:2 (9,12) (ω-6)) sind im Nachtkerzenöl enthalten. Zusammen mit der gamma-Linolensäure und der alpha-Linolensäure weist Nachtkerzenöl einen hohen P:S-Quotienten von über 8 auf, er gibt das Verhältnis der mehrfach ungesättigten und gesättigten Fettsäuren an (P:S ist die Abkürzung für polyunsaturated : saturated-ratio). Einige klinische Studien mit Neurodermitis-Patienten konnten zeigen, das Nachtkerzenöl zu einer Verbesserung des Hautzustandes bei atopischer Dermatitis führen kann. Andere Studien zeigten wiederum keine Besserung durch Nachtkerzenöl, wenn es als Öl auf die Haut aufgetragen wurde, oder als Nahrungsergänzungsmittel einfach als Nachtkerzenölkapsel geschluckt wurde.
Aus Nachtkerzenöl bilden sich anti-entzündliche Substanzen
Die Linolsäure wird bei einer gestörten Wasserbarriere der Hornschicht in verschiedene Ceramide der Haut eingebaut, sie kommt in Ceramid 1 (CER [EOS]), Ceramid 4 (CER [EOH]) und Ceramid 9 (CER [EOP]) vor. Dadurch verringert sich der Wasserverlust der Haut, die Hautfeuchtigkeit steigt. Dagegen können durch Enzyme aus der gamma-Linolensäure anti-entzündliche Substanzen gebildet werden, Dermatologen sprechen von einer anti-inflammatorischen Wirkung. Wird die gamma-Linolensäure enzymatisch umgebaut entsteht Dihomo-gamma-Linolensäure (DHGLA), aus DHGLA entstehen Gewebshormone wie die Prostaglandine der Serie 1 und anti-entzündliche Leukotriene wie die 15-Hydroxy-Eicosatriensäure.
Nachtkerzenöl – klinische Studien sind bisher noch widersprüchlich
Da haben wir den Schinkensalat!: „Besonders gründlich ist die Nachtkerze wissenschaftlich untersucht – inzwischen existieren über 1000 empirische Studien aus mehreren Kontinenten, die die positive Wirkung zweifelsfrei nachweisen“, behauptet ein Doktor in einer naturmedizinischen Zeitschrift – rechnet der Doktor wie einst Homöopathie-Begründer Samuel Hahnemann eintausendundeine empirisch unkontrollierte Eigen-Studien dazu und addiert bisher unübersetzte Studien aus dem chinesischen Schrifttum kommt es vielleicht hin. Doch so wenig die Homöopathie seit Jahrhunderten trotz 100.000 Dollar Preisgeld bisher nicht wissenschaftlich bewiesen wurde, so wenig ist bisher die positive Wirkung des Nachtkerzenöls eindeutig bewiesen, die bisherige Datenlage des Nachtkerzenöls liegt jedoch eindeutig günstiger. Doch stellt weiterhin die aktuelle Leitlinie Neurodermitis der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) von 2008 fest: „Diätetische Substitutionen mit Borretschöl oder Nachtkerzenöl (gamma Linolensäure) werden bei Neurodermitis nicht empfohlen.“ Auch die Stiftung Warentest urteilt in „Juckreiz, Ekzem“ bisher über das Nahrungsergänzungsmittel Nachtkerzenöl: „Die therapeutische Wirksamkeit ist jedoch nicht ausreichend nachgewiesen, deshalb gelten Mittel mit Nachtkerzenöl als ‚wenig geeignet‘.“ Doch immer wieder findet man Personen mit Hautproblemen, die positiv über die Verwendung von Arganöl, Borretschöl, Nachtkerzenöl oder Schwarzkümmelöl berichten – deren Nahrung zur Medizin geworden ist.