Das Drama im japanischen AKW Fukushima zwingt die deutsche Regierung zu einer Kehrtwende: Die geplante Laufzeitverlängerung steht auf dem Prüfstand.
Die Reaktor-Unfälle in Fukushima haben binnen Stunden bewirkt, was der Protest von Tausenden Bundesbürgern im vergangenen Herbst nicht erreicht hat: Ein Einlenken der schwarz-gelben deutschen Bundesregierung in der Atomfrage. Am Abend des 14. März 2011 trat Bundeskanzlerin Merkel vor die Presse, sekundiert von Vizekanzler Westerwelle (FDP) und Umweltminister Röttgen (CDU), und erklärte ein drei Monate gültiges Moratorium für die geplante Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke.
Nach den Vorfällen in Japan, so die Kanzlerin, müssten sämtliche Kernkraftwerke noch einmal auf ihre umfassende Sicherheit überprüft werden – auch was eventuelle Attentate, Flugzeugabstürze oder eben Naturkatastrophen jedweder Form beträfe. Erst wenn dies geschehen sei, könne neu über den Weiterbetrieb der in Deutschland verbliebenen Atomkraftwerke gesprochen werden. „Es darf in dieser Frage keine Tabus geben“, forderte Merkel.
Die Laufzeitverlängerung: Ein heißes Eisen
Im Herbst 2010 hatte die Bundesregierung entschieden, die Restlaufzeiten sämtlicher AKW in Deutschland um acht (für Meiler vor 1980) bzw. vierzehn Jahre zu verlängern. Die Atomkraft solle als „Brückentechnologie“ helfen, dem Übergang zu neuen Energiesystemen (Windkraft, Solarenergie) zu mehr Zeit zu verhelfen.
In den Augen der Opposition und zehntausender Atomkraft-Gegner war die Laufzeitverlängerung nur Zeitgewinn für die Atom-Lobby in Gestalt der vier Energiekonzerne EnBW, RWE, E.ON und Vattenfall (den Firmen gehören die meisten deutschen Atomkraftwerke), sich noch ein paar Jahre die Taschen zu füllen. Insbesondere die Herabsetzung der Sicherheits-Prüfkriterien wurde moniert.
Es folgten Anti-Atom-Demonstrationen im ganzen Land, und ein routinemäßiger Castor-Transport nach Gorleben artete erstmals wieder zu einer regelrechten Blockade-Schlacht aus. Doch die Regierung blieb hart – bis zu jenem Wochenende, als im fernen Fukushima ein Reaktor nach dem anderen zu kollabieren drohte und der Großraum Tokio vor dem Super-Gau zittert.
Neckarwestheim, Isar 1, Brunsbüttel: Kommen ältere Meiler vom Netz?
Das dreimonatige Moratorium bedeutet vermutlich das definitive „Aus“ für drei Atom-Meiler der Älteren Generation, die den modernen Sicherheitsbestimmungen nicht mehr genügen und ohnehin nur noch eine „Galgenfrist“ in Form der Laufzeitverlängerung eingeräumt bekommen hatten:
In Baden-Württemberg soll „Neckarwestheim“, Betriebsbeginn 1976, vom Netz gehen. Gerade hier hatten sich am Wochenende noch Zehntausende Atomkraftgegner versammelt und die sofortige Stilllegung gefordert. Neckarwestheim gilt als anfällig für kleinere Störungen, die sich mit den Jahren zu einer auffälligen Summe aufgetürmt haben. Von den acht Jahren verlängerter Laufzeit, wie ihm die Bundesregierung im Herbst noch zugebilligt hatte, wird der Meiler nach Lage der Dinge keins mehr aktiv erleben.
Seit 1977 sind in der Nähe von Landshut in Niederbayern zwei bautechnisch unterschiedliche Meiler in Betrieb, die nach dem Fluss benannt sind, der das Kühlwasser liefert: „Isar 1 & 2“. Der Reaktor von „Isar 1“ ist baugleich mit Brunsbüttel, Philippsburg 1 und Krümmel – und machte in den heißen Sommern 2003 und 2006 Schlagzeilen, als das Wasser der Isar zu warm wurde, um verlässlich als Kühlmittel verwendet zu werden. Nun also soll „Isar 1“ nach dem Willen des bayerischen Landes-Umweltministers Söder (CSU) abgeschaltet werden, vermutlich um nie wieder ans Netz zu gehen.
Ebenfalls „Meiler der ersten Stunde“, ist der Reaktor von Brunsbüttel in Schleswig-Holstein, in Betrieb seit 1977. Inzwischen ist Brunsbüttel seit 2007 heruntergefahren und hinterließ den traurigen Ruf, Deutschlands störanfälligster Reaktor überhaupt zu sein. Die Verlängerung der Laufzeiten hätte auch ihm noch eine Gnadenfrist eingeräumt. Damit soll jetzt Schluss sein.
Das Moratorium: Wende oder Wahlmanöver?
Opposition und Anti-Atom-Bewegung trauen dem neuen Frieden noch nicht so recht. Für diese Lager kommt das Umdenken der Regierenden ein wenig zu schnell, es erscheint zu wendig und zu glatt, um wahr zu sein. Sie sehen keinen Zufall darin, dass der zur Stilllegung ausgeschriebene Meiler Neckarwestheim just in jenem Bundesland steht, dessen Landtagswahl am 27. März wohl nur knapp entschieden werden wird – und das Moratorium im Juni endet, wenn drei Landtagswahlen vorüber sind und Japan aus den Abendnachrichten verschwunden sein wird.
„CDU und FDP haben Angst, dass ihnen Baden-Württemberg durch die Atomkraft-Debatte endgültig verloren geht“, kommentierten die Grünen mit Blick auf das knappe Rennen im Südwesten, wo am 27. März gewählt und vor allem über Ministerpräsident Mappus abgestimmt wird. Dieser gilt als Atom-Befürworter und hat sich mit seinem Auftreten rund um „Stuttgart 21“ wenig Freunde gemacht.
Ein Verlierer steht jetzt bereits fest: Kaum war das Moratorium veröffentlicht, stürzten die Kurse der genannten Energiekonzerne ab. Eine Momentaufnahme von der Börse – mehr allerdings auch nicht. Es gehört wohl wenig Prophetengabe dazu vorauszusehen, dass im Zeitraum und nach Ablauf des Moratoriums wieder das sattsam bekannte für und Wider aller Beteiligten einsetzen wird. Doch für die Atom-Politik in Deutschland und Europa wird Fukushima ein Wendepunkt sein, wie es ihn vor 25 Jahren schon einmal gegeben hat – nachdem Tschernobyl in die Luft geflogen war.