Mnemiopsis leidyi hat in Ost-, Nordsee und Schwarzem Meer Einzug gehalten. Allerdings zeigen sich diese Invasionen als unabhängig voneinander.
Dem Aussehen nach ein Monster hat sie in den 80 Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Ökosystem im Schwarzen Meer massiv verändert. Dann 2006 wurde sie das erste Mal in der Ostsee entdeckt. Wie die amerikanische Rippenqualle Mnemiopsis leidyi allerdings diese Invasion schaffte, war bislang unklar. Hängen beide Einschleppungen mit einander zusammen? Oder gab es mehrere unabhängige Invasionen?
Die Invasion der amerikanischen Rippenqualle
Eigentlich stammt sie von der Ostküste des amerikanischen Kontinents. Zu zweifelhafter Berühmtheit gelang die Rippenqualle Mnemiopsis leidyi allerdings erst diesseits des Atlantiks. Wahrscheinlich im Ballastwasser von Frachtschiffen gelang sie in den 1980er Jahren zunächst ins Schwarze Meer, dann ins Kaspische. Ohne direkten Konkurrenten vermehrte sich die Quallenart enorm und griff damit massiv in das dortige Ökosystem ein. Vor allem die Sardellenbestände in der Region brachen zusammen. Mit katastrophalen Konsequenzen für die ganze Fischerei. 2006 wiesen Kieler Biologen Mnemiopsis leidyi schließlich auch in der Ostsee nach. Kurze Zeit später entdeckten Forscher sie dann auch in der Nordsee. Doch wie die Rippenqualle hierher kam, blieb unklar. Dem Kieler Leibniz Institut für Meereswissenschaften gelang es jetzt in einer Studie nachzuweisen, dass beide Invasionen voneinander unabhängig abliefen. „Alles spricht dafür, dass Mnemiopsis leidyi wieder im Ballastwasser von Frachtschiffen direkt aus den Ursprungsgebieten nach Nordeuropa gelangte“, erklärt Professor Thorsten Reusch, Leiter der Forschungseinheit „Evolutionsökologie mariner Fische“ am IFM-GEOMAR.
Meeresbiologen nutzen kriminalistische Methoden
Der Nachweis der unabhängigen Invasionen war nicht einfach. Die Meeresbiologen in Kiel mussten sich einer außergewöhnlichen Methode bedienen, die sie Kriminalisten abguckten. So wie die Verdächtige mittels genetischem Fingerabdruck mittels sogenannter Wiederholungsregionen in der Erbinformation überführen, so konnten die Kieler nachweisen, dass die Rippenquallen der Ost- und Nordsee aus einer anderen Region und zu einem anderen Zeitpunkt als die Quallen des Schwarzen Meeres eingewandert waren. Dafür ließen sie sich von Forscher-Kollegen aus den USA, aus der Türkei, Bulgarien, Dänemark, der Ukraine un dem Iran getrocknete Rippenquallen-Exemplare schicken. Reusch erklärt das Vorgehen: „Getrocknet sind die Quallen am einfachsten zu transportieren und die DNA bleibt erhalten.“ Schließlich verfügten die Kieler über Exemplare aus den vier Regionen, wo Mnemiopsis leidyi aktuell vorkommt: dem Golf von Mexiko, der US-amerikanischen Ostküste (Neuengland), dem Schwarzen Meer und aus Ost- und Nordsee. Deren Erbinformationen verglichen die Meeresbiologen. Ergebnis: Die Exemplare aus dem Schwarzen Meer weisen deutliche Ähnlichkeiten mit denen aus dem Golf von Mexiko auf. Zudem unterscheiden sie sich ebenso deutlich von den Quallen aus der Ostsee. Die sind dagegen sehr eng mit Mnemiopsis leidyi vor Neuengland verwandt. „Die Invasoren in der Ostsee stammen also von der nördlichen amerikanischen Population ab, die im Schwarzen Meer von der südlichen“, fasst Reusch zusammen. Eine natürliche Ausbreitung über Flüsse oder Kanäle vom Scharzen Meer in die Ostsee kann somit eindeutig ausgeschlossen werden.
Von der Ostsee in die Nordsee
Überraschend ist dabei, dass die Rippenquallen von der Ost- in die Nordsee wanderten. Definitiv nicht umgekehrt. „Da viele Trans-Atlantik-Schifffahrtsrouten in Hamburg, Rotterdam oder Antwerpen enden, hatten wir eigentlich mit der umgekehrten Reihenfolge gerechnet“, sagt Professor Reusch. „Der Überträger war also wahrscheinlich ein Frachter, der aus Neuengland kommend direkt einen baltischen Hafen anlief.“ Nächster Schritt wird sein lebende Exemplare aus allen Regionen zu erhalten und zu untersuchen. „Es ist auffällig, dass sich ausgerechnet die nördlichere Population in Nord- und Ostsee und die südlichere im Schwarzen Meer verbreitet hat. Mit lebenden Exemplaren wollen wir testen, ob das an einer vererbten Anpassung an durchschnittlich wärmere oder kühlere Wassertemperaturen liegen kann“, sagt Sören Bolte, Doktorand am IFM-GEOMAR. Im Rahmen seiner Doktorarbeit wird Bolte sich mit der Frage beschäftigen: wie schnell können sich die Ostsee-Neubürger an die neuen Umweltbedingungen anpassen. Allgemein weiß man noch viel zu wenig über die Anpassungsgeschwindigkeit von invasiven Arten. Eine Prognose zur weiteren Entwicklung in der Ostsee kann man deshalb bis jetzt noch nicht geben.