Männer in solchen Beziehungen haben oft selbst seelische Probleme.
Typische Phänomene von Co-Abhängigkeit zeigen sich auch in Partnerschaften, in denen die Frau bulimisch ist. Eine häufige Ursache: Narzissmus, und zwar auf beiden Seiten.
Bulimie, der so genannte „Stierhunger“, ist der medizinische Ausdruck für eine gefährliche Suchterkrankung. Erst 1980 wurde diese Essstörung als eigenständiges psychisches Krankheitsbild anerkannt. Anfallsartig auftretende Attacken, in denen die betroffenen Frauen riesige Mengen Nahrung zu sich nehmen, wechseln sich mit selbst herbeigeführtem Entleeren wie Erbrechen oder der Einnahme von Abführmitteln ab. Ein Teufelskreis entsteht, der schwerste gesundheitliche Schäden wie Herz- und Nierenversagen zur Folge haben kann.
Hunger nach Anerkennung
Die Buchautorin und Psychotherapeutin Dr. Bärbel Wardetzki befasst sich seit vielen Jahren mit der Bulimie und ihren Wurzeln. Besonders die Ursprünge dieser Essstörung haben sie interessiert. Eines ist für die Therapeutin in vielen Gesprächen mit betroffenen Patientinnen dabei ganz deutlich geworden: „Diese Krankheit ist ein körperlicher Ausdruck, ein Symbol, das sich die Seele sucht, um ihre Not zu zeigen. Es ist der Hunger nach Anerkennung.“ Bulimische Frauen leiden, so Bärbel Wardetzki, unter einem gestörten Selbstwertgefühl narzisstischer Ausprägung. Bei einem Teil der Frauen liegt sogar eine tief gehende Persönlichkeitsstörung vor.
Bulimie vereint oft männliche und weibliche Narzissten
Männliche und weibliche Narzissten teilen das instabile, stark schwankende Selbstwertgefühl. Bei Männern zeige es sich, so Dr. Wardetzki, eher in der Grandiosität, die sie auslebten, um ihren Mangel an Selbstwert zu verstecken. Sie wollen bewundert und angehimmelt werden. Bei bulimischen Frauen sind eher Minderwertigkeitsgefühle das vorherrschende Erscheinungsbild: „Das Grundgefühl von Bulimikerinnen ist Wertlosigkeit, Hilflosigkeit und Depression. Ihre Selbstachtung erreichen sie dann hauptsächlich über äußere Merkmale wie ein niedriges Gewicht, gutes Aussehen, Leistung, Perfektionismus und Überanpassung an ihre Umgebung.“ Sie suchen und wollen einen Partner, der sie bewundert und damit aufwertet. In der Co-Abhängigkeit zu einer bulimischen Partnerin zeige sich oft dieselbe narzisstische Thematik beim Mann, so die Expertin. Die meisten Männer fühlen sich berufen, ihre Partnerin zu retten und aus den Klauen der Krankheit zu befreien. Auch sie wollen bewundert werden. “Die Seele“, sagt Dr. Bärbel Wardetzki, „sucht sich immer Situationen, die ungeklärt sind, um sie zu klären.“ So gesehen bietet die Begegnung die Chance zu wachsen und zu genesen. Wenn beide Partner hinsehen und sich dem Thema ihrer gemeinsamen Dynamik stellen.
Anrufe betroffener Männer
Immer wieder rufen betroffene Männer in Bärbel Wardetzkis Praxis in München an. Fast alle stellen dieselben Fragen: „Was kann ich tun?“ oder „Was darf ich nicht tun?“ und „Wie bringe ich meine Freundin dazu, endlich eine Therapie zu machen?“ Die Therapeutin fragt dann zurück. Die Frage, die sie stellt, überrascht die meisten Männer. Denn den Zusammenhang, dass ihre Partnerin direkt etwas spiegelt, das mit ihnen selbst zu tun hat, stellen nur wenige her. Die Frage, die Dr. Wardetzki stellt, lautet: „Was motiviert Sie, mit dieser Frau eine Liebesbeziehung zu haben?“
Häufig, so Wardetzkis Erfahrung, seien bulimische Frauen sehr attraktiv und hielten ihre selbstbewusste Fassade nach außen perfekt aufrecht. Auch die Partner, die sie sich suchen, sind meistens gut aussehend und gesellschaftlich anerkannt. Somit treffen hier oft zwei Menschen aufeinander, die sich nur im Bild und in der Phantasie vom jeweils anderen begegnen. Statt um Liebe und echte Nähe geht es um Bewunderung, die mit Liebe gleichgesetzt werde.
Beziehungsdynamik
Bulimikerinnen haben meistens panische Angst vor echter Nähe und Bindung. Die Wahl einer Partnerin mit diesem Krankheitsbild kann auch ein Hinweis sein, dass der Mann diese Angst teilt und auf diesem Weg unbewusst auslebt. Denn eine Frau, die selbst Intimität vermeidet, stellt ja keine Gefahr für ihren Partner da. In jedem Falle lenken das ständige Kreisen um die Essstörung und das Bedürfnis, hier „zur Rettung“ der Frau Kontrolle und Macht auszuüben, ihn von seinem eigenen Leben und seinen eigenen Themen ab. Entscheidend ist, sich darüber klar zu sein, dass Co-Abhängigkeit eine ernst zu nehmende seelische Dynamik erzeugt oder aufrechterhält. Das Leben mit der Krankheit Bulimie wirft sicherlich wichtige Fragen auf: auch und gerade bei den Partnern der Betroffenen. Hier kann eine Therapie den Männern ebenfalls weiterhelfen.
Erbrechen als nach außen verlagerte Symbolhandlung?
Ein Gedanke, der sich auf die körperliche Symptomatik des Erbrechens bezieht, mag gewagt, provokativ oder sehr weit hergeholt klingen. Versteht man eine Paarbeziehung im wahrsten Wortsinne als Spiegel, kann der Partner einer bulimischen Frau sich auch ganz bildlich gesprochen die Frage stellen: „Finde ich etwas an mir (meinem Leben) so unerträglich, dass ich es unbedingt loswerden will?“ Umgangssprachlich formuliert klingt diese Frage drastischer. Sich damit zu beschäftigen, kann auch einen Gedanken wert sein.