Als bipolare Störung bezeichnen die Psychiater ein Krankheitsbild, bei dem Patienten zwischen Phasen teilweise tiefer Depression und Phasen manischer Euphorie hin und her gerissen werden – wobei die Manie oft der problematischere Teil dieser auch als manisch-depressive Störung bezeichneten Erkrankung ist. Nach Angaben von Forschern ist etwa 1 Prozent der Bevölkerung von dieser Krankheit betroffen. Gegen die manisch-depressive Störung ist noch kein rechtes Kraut gewachsen. Die Depression ist durch Antidepressiva und Psychotherapie meist in den Griff zu bekommen. In der manischen Phase greifen Neurologen zu Neuroleptika und Lithiumsalzen. Wenn denn der Patient einsichtig ist.
Als vorbeugende Maßnahme empfiehlt die Schulmedizin die Gabe von Lithiumsalzen. Vor allem Lithiumcarbonat kommt zu Einsatz. Doch diese Prophylaxe ist nicht frei von Nebenwirkungen und setzt regelmäßige Mitwirkung des Patienten voraus und die ständige Kontrolle des Lithiumspiegels im Blut ist erforderlich. Eine begleitende Verhaltenstherapie ist auch bei der Prophylaxe von Nutzen. Mit anderen Worten: Nach neuen Ansätzen zur Therapie und Prophylaxe der bipolaren Störung wird dringend verlangt. Nun konnten Genforscher eine erste Spur zur manisch-depressiven Störung finden. Am 24. Februar 2011 wurden die im American Journal of Human Genetics publiziert.
Ein erstes Ergebnis der Genforschung
Die beteiligten Wissenschaftler der Universität Bonn, dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim und dem Jülicher Institut für Neurowissenschaften und Medizin haben eine umfangreiche Studie durchgeführt. Das Ziel war die Identifizierung von genetischen Ursachen der bipolaren Störung. Bei der bisher umfangreichsten Untersuchung dieser Art wurden hunderttausende von häufig vorkommenden Genvarianten im Erbgut von einer großen Zahl von Gesunden wie an der bipolaren Störung leidenden Personen miteinander verglichen. Etwa 43.000 Menschen, davon 35.000 Gesunde und über 8.000 Erkrankte, waren daran beteiligt. Das erste Ergebnis dieser so genannten genom-weiten Assoziationsstudie liegt nun vor: Eine Variante des Gens Neurocan (NCAN) ist bei Menschen mit manisch-depressiver Störung signifikant häufiger als bei Gesunden zu finden.
Dazu sagte Sven Cichon, Professor am Institut für Humangenetik der Universität Bonn und am Institut für Neurowissenschaften und Medizin des Forschungszentrums Jülich: „Die identifizierte Risikovariante erhöht das Risiko der Träger zu erkranken. Sie bestimmt aber nicht alleine, ob man erkrankt.“ Prof. Marcella Rietschel vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim ergänzte: „Die Bipolare Störung zählt zu den so genannten komplexen Krankheiten. Damit sie ausbricht, müssen viele genetische Risikofaktoren und auch Umwelteinflüsse zusammenkommen.“ Bisher waren genom-weite Assoziationsstudien bei der Erforschung der manisch-depressiven Störung nicht sehr erfolgreich. Bei der Ursachenforschung von anderen komplexen Krankheiten wie Diabetes mellitus Typ II, chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen oder der Schizophrenie wurden dagegen schon beeindruckende Ergebnisse erzielt. Dazu Prof. Markus M. Nöthen, Direktor des Instituts für Humangenetik der Universität Bonn: „Umso höher ist die Identifizierung des Risikofaktors im Neurocan-Gen bei der Bipolaren Störung zu werten. Wir hoffen, neue Einblicke in die molekularen Prozesse zu erhalten, die bei dieser häufigen neuropsychiatrischen Störung eine Rolle spielen“.
Das Gen Neurocan (NCAN) war den Hirnforschern schon länger bekannt. Sven Cichon wies darauf hin, „dass NCAN beim Wachstum und Zusammenhaften der Gehirnzellen eine Rolle spielt. Dass es im Zusammenhang mit der Bipolaren Störung steht, war bisher aber nicht klar.“ Untersuchungen an Mäusen haben gezeigt, dass die genetische Information von Neurocan vor allem in zwei Bereichen des Gehirns abgerufen wird: Cortex und Hippocampus. Diese Hirnregionen sind es auch, die bei der Bipolaren Störung besonders betroffen sind.
Das weitere Vorgehen
Die beteiligten Wissenschaftler wollen „nun im Detail herausfinden, an welchen Prozessen NCAN im Gehirn beteiligt ist und wie das Vorliegen der krankheitsassoziierten Genvariante diese Prozesse stört“. Das dabei gewonnene Wissen, so die Hoffnung, könnte bei der Entwicklung wirksamer Therapien zur Behandlung der manisch-depressiven Störung helfen. Da liegt aber ein weiter Weg vor den Forschern und Betroffene können keine Wunder erwarten.