Als das Unternehmen Lockheed 1932 kurz vor dem Bankrott stand, und der Konkursverwalter einen neuen Käufer suchte, war es der Börsenmakler Allan Ellsworth Gross, der für sagenhafte 40.000 US-Dollar den Zuschlag erhielt. Gross hatte zwar wenig Ahnung von der Luftfahrt, besaß aber einen gesunden Geschäftssinn. Er erkannte die Notwendigkeit, den Sektor der kleinen und schnellen Zubringer- und Pendlerflugzeuge zu bedienen. Boeing und Douglas waren bereits dabei, dieses Marktsegment mit der 247 und mit der DC-2 unter sich aufzuteilen.
Gross erkannte den Handlungsbedarf innerhalb dieses Marktes, holte Hall Hibbard und Lloyd Stearman nach Burbank und beauftragte die beiden Konstrukteure, ein kleines zweimotoriges Ganzmetall-Flugzeug zu bauen. Das Team wurde durch die Ingenieure George Prudden und James Gerschler verstärkt, zu dem einige Zeit später der Experte für Aerodynamik, Clarence L. Johnson, stieß. Durch ihn wurden die Windkanalprobleme des neuen Flugzeuges behoben, welches einige Monate später als Lockheed Modell 10 in die Luftfahrtgeschichte einging.
Freitragender Tiefdecker mit doppelten Seitenflossen
Am 23. Februar 1934 rollte die neue Maschine erstmalig aus dem Hangar und führte die ersten Rollversuche durch. Es ist leider nicht überliefert, wann genau die Maschine ihren Jungfernflug unternahm. In den meisten Quellen wird das vorab angeführte Datum genannt. Das Flugzeug besaß eine unlackierte, aber polierte Aluminiumhaut, die in der winterlichen Sonne glänzte.
Das Modell 10 war etwas kleiner als sein Konkurrenzmuster von Boeing, das ein Jahr früher herauskam. Es konnte ebenfalls 10 Passagiere befördern und war durch sein geringeres Startgewicht von 4672 kg auch schneller als die Boeing 247. Bei den ersten Tests leisteten die beiden Pratt & Whitney Wasp Junior-Sternmotoren je 298 kW und verliehen dem Flugzeug eine Höchstgeschwindigkeit von 325 km/h.
Nach dem Abschluss der Erprobung wurde das Flugzeug nach Mines Field, Los Angeles überführt, um dort die Zulassung der FAA zu erhalten. Beim Rückflug ereignete sich ein Zwischenfall kurz vor der Landung. Ein Fahrwerksbein ließ sich nicht ausfahren und der Pilot Headle führte eine gekonnte Landung auf nur einem Rad des Hauptfahrwerkes auf dem nahe gelegenen Union Air Flugplatz durch. Das Flugzeug erlitt nur geringe Beschädigungen, die mit relativ wenig Aufwand behoben werden konnten.
Spektakuläre Landung sorgte für Auftrags-Boom
Der Pilot Headle verhinderte eine Katastrophe und damit erneute finanzielle Schwierigkeiten für die Firma Lockheed Aircraft Corporation. Das Ereignis sprach sich schnell herum und die Verkaufszahlen schnellten empor.
Das Modell 10 Electra wurde ab 1935 an acht US-amerikanische Fluggesellschaften geliefert, darunter Northeast Airlines, Delta Air Lines und Pan American Airways. Des Weiteren ging dieses Modell nach Kanada, Lateinamerika, Australien und Europa. Einige Maschinen kamen im Spanischen Bürgerkrieg zum Einsatz und zu Beginn des Zweiten Weltkrieges übernahmen die Royal Air Force und die Canadian Air Force diesen Typ für militärische Aufgaben. Beim Eintritt der USA in den Krieg flogen nur noch wenige Flugzeuge dieses Typs im Liniendienst, da aufgrund der geringen Platzkapazität und steigender Passgierzahlen das Flugzeug unwirtschaftlich wurde.
Die Lockheed Electra ging auch in die Hände zahlreicher privater Käufer. Unter ihnen war auch die berühmte Pilotin Amelia Earhart, die im Juli 1937 bei dem Versuch mit diesem Flugzeug die Erde am Äquator zu umrunden, in den Weiten des Pazifischen Ozeans zwischen Lae, Neuguinea und Howland Islands verschollen blieb. Mit ihr verschwand auch ihr Navigator Fred Noonan.
Die Lockheed 10 Electra war auch die siebte Lockheed-Maschine, die 1937 den Atlantik erfolgreich überquerte, als Dick Merill und John Lambie mit der NR 16055 nach Großbritannien flogen, um Krönungsfotos von König George IV abzuholen.
Technische Informationen und Varianten der Electra
Die Hauptversion der Electra war das Modell 10A. Das Flugzeug war 11,76 Meter lang und hatte eine Spannweite von 16,76 Metern. Mit einer hervorragenden Reisegeschwindigkeit von 306 km/h konnte dieses Flugzeug bei einer Dienstgipfelhöhe von 5915 Metern über 1300 Kilometer weit fliegen. Von diesem Modell wurden 101 Stück gebaut.
Das nachfolgende Model Electra 10B war mit Wright-Sternmotoren R-975-E3 Whirlwind mit je 313 kW (420 PS) ausgestattet, die etwas stärker waren als die der Hauptvariante. Das Modell 10C war die so genannte PAA-Variante (Pan American Airways) und wurde mit zwei Wasp SC1 mit einer Leistung von je 336 kW ausgerüstet. Des Weiteren war ein Modell D als Militärvariante geplant. Dieses Muster wurde aber nicht gebaut.
Das Modell E erhielt als Antrieb zwei P&W R-1340 Motoren mit der gleichen Leistung wie die Wasp-Motoren der Serie C. Später erhielt dieses Muster die Wasp S3H1 Motoren, die eine Leistung von 447 kW abgaben. Dieses Modell flog auch Amelia Earhart bei ihrem Weltumrundungsversuch. Ihr Flugzeug trug die Registrierung NR 16020.
Das Modell 10 flog auch bei der US Army, der US Navy und der US Coast Gard. Hier erhielten diese Maschinen die Bezeichnungen C-36, C-37, R20 und R30. Im Verlauf des Krieges erhielten die Maschinen der Serie C-36 die Bezeichnungen UC-36A bis UC-36C. Insgesamt wurden in der Zeit vom 29. Juni 1934 bis 18. Juli 1941 149 Stück des Modells 10 in Burbank gebaut.
Schneller als ein Jäger – Entwurfsbasis für Kampfflugzeuge
Noch besonders hervorzuheben wäre das Modell XC-35, welches als Forschungsflugzeug mit Druckkabine getestet wurde. Angetrieben von zwei Turbolader-Motoren P&W XR-1340-43 mit je 410 kW Leistung wurde es vom US Air Corps geflogen, um Erfahrungen im Bereich der Ladermotoren und der Druckbelüftung zu gewinnen. Weiterhin gab es ein Modell XR30-1, welches als Transport- bzw. Sanitätsflugzeug umgerüstet werden konnte. Es wurde nur ein Flugzeug gebaut und von der US Coast Gard geflogen.
Im Jahr 1936 brachte Lockheed den kleineren Bruder Modell 12 Electra Junior heraus. Dieses Flugzeug erhielt die gleiche Motorisierung wie das Modell 10 und konnte 6 Passagiere transportieren. Seine Flugleistungen waren weitaus besser als die der meisten Jagdflugzeuge dieser Zeit. Der zweite Verkaufsschlager von Lockheed stellte mehrere Rekorde auf und es wurden bis Mitte 1942 130 Exemplare gebaut. Das Model 14, welches im Juni 1937 folgte und als Super Electra bezeichnet wurde, war der Vorfahre der Lockheed Loadstar und der daraus entwickelten erfolgreichen Kampfflugzeuge Lockheed Ventura, Hudson und Harpoon.