Hyperbraille macht Grafiken und Diagramme ertastbar
Das Projekt „Hyperbraille“ hat eine Art Notebook für Blinde entwickelt. Das neue Display stellt Webseiten, Tabellen und Grafiken für Sehbehinderte dar.
Blinde Menschen möchten Anteil an modernen Kommunikationsformen haben und PC-Arbeitsplätze selbständig barrierefrei beruflich nutzen. Ein neues Bediensystem soll diesen Wunsch erfüllen. Mit Hilfe interaktiver Stiftplatten sollen Text- und Grafikinformationen – Informationen, die heute üblicherweise ausschließlich visuell auf Bildschirmen für Sehende vorliegen – über eine haptische Schnittstelle vermittelt werden.
Das Forschungsprojekt Hyperbraille
Auf der Fachmesse für Blinden- und Sehbehinderten-Hilfsmittel in Frankfurt, SightCity, hat das Forschungsvorhaben „Hyperbraille“ erstmals den Prototypen seines neu entwickelten zweidimensionalen Braille-Flächendisplays präsentiert. Es handelt sich um eine Art grafikfähigen Laptop für Blinde und Sehbehinderte, die in bisher ungewohnter Qualität grafische Elemente und Tabellen am Bildschirm wahrnehmen können. In dem Projekt wird nicht nur die Hardware, sondern auch die nötige Software, gängige Office- und Internet-Anwendungen, entwickelt. Hyperbraille wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie mit 4,1 Millionen Euro gefördert. Beteiligte Projektpartner sind: Metec AG, FH Papenmeier GmbH & Co. KG, IMS-Chips, TU Dresden, Institut für Informatik, Universität Potsdam, Institut für Informatik.
Bislang arbeiten blinde Menschen mit Screenreader per Sprachausgabe oder Braillezeile (Blindenschrift) am PC. In diesen Technologien werden Texte vorgelesen beziehungsweise ertastet. Man kann sich auf diese Art nur schwer einen Gesamtüberblick verschaffen, zudem ist ein hohes Maß an Konzentration und Erinnerungsvermögen erforderlich. Sehbehinderte sind am Computer vor allem dann benachteiligt, wenn es um Tabellen (schlecht nutzbar) oder grafische Informationen (gar nicht nutzbar) geht.
Räumliche Strukturen werden erfahrbar
Im Projekt Hyperbraille wird ein neuartiger Ansatz entwickelt, der auf einem Braille-Flächendisplay (auch als Stiftplatte bezeichnet) basiert. Grafische Darstellungen werden auf dem neuen Display von rund 7200 beweglichen Metallstiften dargestellt, die elektronisch hoch- und heruntergefahren werden können und so ertastbare Formen erzeugen. Blinden Computernutzern werden so sehr viel weiterreichende Möglichkeiten des Computereinsatzes eröffnet als bisher.
Die Menge gleichzeitig wahrnehmbarer Informationen wird vergrößert. Räumliche Strukturen und grafische Symbole werden als zusätzliche Informationen erfahrbar. Objekte wie Textabsätze, Tabellen, Menüs und andere Elemente der Windows-Benutzeroberfläche können vollständig auf der Stiftplatte abgebildet werden. Weiterhin können auch geometrische Zeichnungen, Raumskizzen, Wegepläne oder Diagramme blinden Schülern im Unterricht zugänglich gemacht werden.
Technische Zeichnungen, elektrische Schaltpläne aber auch die Unified Modeling Language für die Softwareentwicklung könnten blinden Menschen den Zugang zu allen Kommunikationsmöglichkeiten und bisher verschlossenen Berufsfeldern ermöglichen. Arbeitsplätze, die im Wesentlichen die Fähigkeit zur selbständigen, uneingeschränkten Kommunikation mit und über ein PC-System mit Bildschirmausgabe voraussetzen, könnten dann in Zukunft von Blinden und Sehbehinderten eigenständig und vollwertig besetzt werden.
Display mit sensitiven Eigenschaften
Die neue Stiftplatte ersetzt 12 konventionelle Braillezeilen, ermöglicht aber auch direkten Zugang zu grafischen Darstellungen. Die Oberfläche des Displays verfügt über sensitive Eigenschaften, der Anwender kann über die Fingerkuppe damit interagieren. So wird es möglich sein, dass vom blinden Anwender Programmfunktionen quasi mit dem Fingerklick ausgelöst werden, der Cursor vergleichbar dem Mauszeiger über das Display bewegt wird, einfache Zeichnungen mit dem Finger als Zeichenstift erstellt werden oder Drag-and-Drop eine blindengerechte Arbeitstechnik wird.
Zeitgleiche Anwendertests und neue Schulungskonzepte
Hyperbraille betritt mit diesen Entwicklungen Neuland, deshalb erfolgt die Erstellung der Anwendungsprogramme Schritt für Schritt durch die Erweiterung bekannter Techniken. Nach jedem Entwicklungsschritt erfolgt eine Überprüfung durch blinde Tester. Zurzeit laufen erste Testdurchläufe mit dem Office-Programm Excel und dem Microsoft Internet Explorer. Bis zum Projektende 2010 sollen alle gängigen Office-Programme in ertastbare Einheiten umgewandelt werden können. Entsprechende Schulungskonzepte der Deutschen Blindenstudienanstalt e.V.sollen blinde Menschen mit den neuen Möglichkeiten anschließend schnell vertraut machen.