Solange es Menschen gibt, solange werden Berge auf dieser Erde Namen tragen und sich Mythen und Märchen um sie drehen. Auf ihnen sollen Götter wohnen und Geister leben.
Am Eiger in der Schweiz erzählt man sich in den Dörfern gerne die alten Sagen vom menschenfressenden „Oger“, der weit oben in der Nordwand lebt. Er treibt dort sein Unwesen und die Einheimischen geben ihm die Schuld an der dramatischen Geschichte um die wohl berühmteste Steilwand der Alpen. Seit 1935 kamen hier 51 Bergsteiger ums Leben. Ein anderes Wesen, der „Zuggeist“, wacht auf der Zugspitze. Er soll einem Steinadler gleichen und die Springwurzel nicht aus seinen Augen lassen, die ewigen Reichtum verspricht. Wer sie bisher finden wollte starb im Felsmassiv. Es sind unheimliche Geschichten, die die Menschen erfinden. Die Berge flößen ihnen Respekt ein und ziehen sie doch magisch an. Sie fürchten die Naturgewalten, weil sie ihnen machtlos ausgeliefert sind.
Vulkane sind die Wohnstätten von Göttern
Für die einen sind die Berge alpine Herausforderungen, für die anderen spirituelle Kultstätten. Ihre uralte Entstehungsgeschichte und die Schönheit faszinieren, ihre Formen haben Symbolkraft und ihre Gipfel berühren den Himmel. Besonders gerne werden Vulkane, deren Inneres gefährlich brodelt, zu Wohnungen der Götter gemacht. 3sat.de berichtete im vergangenen Jahr von Reinhold Messners Suche nach solchen Beispielen. Die Massai in Nord-Tansania verehren den „Berg des schwarzen Gottes“. Der Vulkan Licancábur im Norden Chiles ist der heilige Berg der Inkas. Und zehntausende Japaner pilgern jährlich zum Fujiyama. Sie glauben, dass „Ainu“, die Göttin des Feuers, dort lebt.
Mit der Kraft des Kailash ins eigene Innere finden
Berge sind „Kraftplätze“, das hat der ehemalige Sport-Bergsteiger Norbert Menzel selbst erfahren, als er zum ersten Mal am Kailash in Westtibet war. Er ist der heiligste Berg für die Hindus und Buddhisten. Keiner darf hinauf, damit die Götter nicht gestört werden. Daher pilgern tausende Gläubige am Saga-Dawa-Fest um ihn herum, in tiefer Meditation versunken. Sie nennen dieses Ritual „Kora“ und finden durch die Kraft des Kailash den Weg ins eigene Innere. „Ich wartete, dass auch bei mir was passiert. Doch da war nichts, außer einer körperlichen Anstrengung auf 4500 Metern“, erzählt Menzel. Nach der Rückkehr änderte er jedoch sein Leben, gab das Extrembergsteigen auf, bei dem es ihm bisher nur um Leistung und Kondition ging. Heute führt der Bauingenieur aus Aying selbst Pilgerreisen zum Kailash durch. „Wenn ich dann die Kora gehe, spüre ich Liebe, Mitgefühl, Gleichmut und Freude in mir“, sagt Menzel.
Die Stille am Berg Athos gibt es sonst nirgends auf der Welt
Jeder kennt die Gefühle, wenn der Aufstieg einer Bergtour schweißtreibend mühsam wird, wenn sich das Licht verändert, wenn es still wird und sich der Blick öffnet. „Das ist eine perfekte Metapher für den religiösen Weg“, findet Wilhelm Warning. Seit er am Berg Athos war befasst sich der Publizist vom Bayerischen Rundfunk intensiv mit dem Glauben. „Dort habe ich eine Stille erlebt, die es sonst nirgends gibt.“ Monumental und wie ein Kegel steht der Athos am Ende der Halbinsel Chalkidiki in Griechenland. Glaubt man dem Mythos, so ist auf ihm im Sturm die Gottesmutter „Panajia“ angekommen. Seit über tausend Jahren leben orthodoxe Mönche am Athos, in völliger Askese und im ständigen Gebet. Heute sind es rund 3000 Mönche in zwanzig Klöstern. „Sie suchen die Vollkommenheit in der Verbindung zu Gott“, erklärt Warning. Die Halbinsel ist völlig abgeschottet vom Rest der Welt, wie eine riesige Klausur.
Berge und Hügel waren immer schon Orientierungspunkte für die Menschen und gaben ihnen Weitblick. Die Kelten in der Eisenzeit machten sie zu ihren Heiligtümern und später bauten die Christen ihre Klöster dorthin. „Andechs ist auch so ein Ort, auch hier verehrt man die Mutter Gottes“, weiß Warning. Seit dem 10. Jahrhundert pilgern Gläubige auf den Berg in der Nähe des Ammersees. Heute lockt den modernen Menschen eher die bairische Lebensart nach Andechs hinauf. Für viele haben die alten Geister und Götter längst ausgedient.