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Kleine Macke oder Zwangsstörung?

Mehr oder weniger liebenswerte Marotten hat jeder von uns. Sie sind Teil unserer Individualität. Doch wann wird der Tick zum Problem?

Eine Macke hat jeder – und die meisten von uns haben mehr als eine. Die wenigsten sprechen gerne darüber, denn nicht normgerechte Verhaltensweisen gelten als Schwäche in einer Welt, in der möglichst alles perfekt sein sollte. Dabei ist es gerade das etwas Schräge, das auf den ersten Blick Unverständliche, das uns individuell und liebenswert macht.

Was ist eine Marotte?

Ursprünglich ist eine Marotte eine auf einem Stab angebrachte Holzfigur, die im Puppentheater Verwendung findet. Man kennt sie auch aus mittelalterlichen Filmen, wo der Narr stets eine solche Stabpuppe vor sich herträgt. Im übertragenen Sinne ist eine Marotte eine seltsame Eigenart, eine Macke oder eine exzentrische Angewohnheit durch die sich jemand von der Masse abhebt und unterscheidet:

Wenn Vera aus dem Haus geht, dann muss sie immer der kleinen Steinfigur vor ihrem Gartentor über den Kopf streichen – dann hat sie das Gefühl, dass es ein guter Tag für sie wird. Alex kann am besten einschlafen, wenn er ein Kissen hat, an dem er „knibbeln“ kann. Bea dreht sich kleine Knoten ins Haar, sobald sie nervös wird und Moni kann an kaum einem Schuhladen vorbeigehen, ohne nicht ein Paar zu kaufen – obwohl sie schon 120 Paar Schuhe zu Hause hat.

Kleine Eigenheiten, die andere vielleicht manchmal kopfschüttelnd beobachten, aber die uns auszeichnen und unsere Individualität unterstreichen.

Macken: Aberglaube, Entspannung, Sicherheitsgefühl

Die kleinen Ticks werden von einem inneren Drang gesteuert. Wer es sich angewöhnt hat, die Wäsche nach Farben geordnet in den Schrank zu sortieren, bei dem bleibt ein Gefühl der Unvollständigkeit, wenn er es nicht tut. Er fühlt sich unbefriedigt und ruhelos und verspürt den dringenden Wunsch es zu ändern, damit er sich gut fühlt. Erst dann kann er richtig entspannen.

Häufig werden Dinge auch mit bestimmten Ereignissen verknüpft. Der rote Schal, mit dem man das Bewerbungsgespräch erfolgreich gemeistert hat, wird zum Glücksbringer. Fortan muss der rote Schal überall dabei sein, denn sonst – so das Gefühl – ist einem auch das Glück nicht mehr hold. Der Schal schenkt dann Sicherheit.

Marotten können lustig und liebenswert sein. Kleine Rituale können dem Leben Struktur und Sicherheit geben. Die Macken des Partners oder der Kollegen sind jedoch nicht immer ein Grund zur Freude.

Kann man Macken ablegen?

Marotten kann man ablegen, sofern sie einen stören. Eine Macke ist nicht mehr oder weniger als eine Angewohnheit, die man sich auch wieder abkonditionieren kann. Dafür braucht es Geduld und Willensstärke. Zunächst sollte man sich bewusst machen, wann die störende Handlung ausgeführt wird und ergründen, ob es einen bestimmten Auslöser dafür gibt. Sobald man den Drang verspürt der Marotte nachzugeben, gilt es, das Verhaltensmuster bewusst zu durchbrechen und durch ein neues, alternatives Verhalten zu ersetzen.

Die Grenzen zwischen einem etwas eigenartigen Spleen und zwanghaftem Verhalten sind fließend.

Wann wird eine Macke zur Zwangsstörung?

Medizinisch bezeichnet man diese Marotten auch als Übersprungshandlungen oder als substitute activity, also als Handlungen, die für den außenstehenden Beobachter in dem Zusammenhang, in dem sie ausgeführt werden, keinen Sinn ergeben. Sie entstehen aus einem Gefühl der inneren Anspannung heraus und verschaffen ein befreiendes Gefühl, wenn sie ausgeführt werden. Wird aus einem Tick eine Zwangsstörung hat der Betroffene keine freie Wahl mehr. Er kann sein Verhalten nicht mehr selbst kontrollieren. Er kann nicht mehr einfach entscheiden, sein Verhalten zu ändern.

Anzeichen für eine Zwangserkrankung:

  • Dauer und Häufigkeit: Die Pflege der Marotte – oder das Nachdenken darüber – nimmt mehr und mehr Zeit in Anspruch. Mehr als eine Stunde pro Tag mit der Marotte zu verbringen, gilt als Anzeichen dafür, dass es sich um eine Zwangserkrankung handelt.
  • Ausweitung: Ist die Macke in den letzten Jahren gleich geblieben oder ist sie nach und nach ausgeufert? Reicht es z.B. nicht mehr, den Herd nur einmal zu kontrollieren, sondern muss jetzt mehrfach kontrolliert werden? Sind andere zwanghafte Verhaltensmuster hinzugekommen?
  • Körperliche Begleiterscheinungen: Kann der Marotte nicht nachgekommen werden, stellt sich bei vielen häufig ein ungutes Gefühl ein. Sollten sich allerdings körperliche Symptome wie Schwitzen, Zittern oder Übelkeit breitmachen oder Ängste auftreten, ist eine professionelle Behandlung des Zwangs gefragt.
  • Kontrollverlust: Wenn die Macke anfängt, mehr und mehr die Autonomie einzuschränken, wenn der Alltag, die Partnerschaft oder der Job beeinträchtigt werden, wenn man selbst nicht mehr in der Lage ist, mit einer alternativen Verhaltensweise gegenzusteuern, dann sollte man die Hilfe eines Psychologen suchen.