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Kaum Therapieplätze für psychisch Schwerkranke

Gerade psychisch Schwerkranke, die einen ambulanten Therapieplatz suchen, werden meist abgelehnt. Therapeuten nehmen lieber leichtere Fälle.

Menschen, die unter einer schweren psychischen Erkrankung wie zum Beispiel einer Borderline-Störung, einer Störung mit psychotischen Anteilen, einer Psychose oder Suchterkrankung leiden, finden nur sehr schwer einen ambulanten Therapieplatz. Häufig werden sie abgelehnt mit der Begründung, die Warteliste sei voll. Stattdessen nehmen Therapeuten lieber Patienten, die unter leichten Depressionen, Erschöpfungssyndrom oder Burnout leiden. Die besten Chancen auf einen Therapieplatz haben wohlhabende Akademiker mit einer leichten psychischen Erkrankung. Dabei leiden wesentlich mehr Menschen aus den unteren sozialen Schichten an schweren psychischen Erkrankungen bei denen dringend Behandlungsbedarf besteht als Menschen aus den gehobenen sozialen Schichten.

Woran liegt das?

Die Arbeit mit psychisch schwerkranken Patienten belastet den Therapeuten wesentlich mehr und hat oft geringere Aussichten auf Erfolg. Trotzdem kann ein Therapeut nicht mehr pro Stunde abrechnen, nur weil er jetzt statt einem leicht depressivem Patienten einen Patienten mit einer schweren Psychose behandelt.

Nicht nur die Schwere der Erkrankung sondern auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht spielt beim Zugang zu ambulanter Psychotherapie eine Rolle. Akademiker und Wohlhabende, die häufig unter wenigen schweren psychischen Erkrankungen leiden, sind meistens besser informiert über psychische Störungen, zudem werden diese in höheren gesellschaftlichen Schichten schneller erkannt und hier ist auch die Hemmschwelle nicht so hoch, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die meisten psychotherapeutischen Praxen findet man hauptsächlich in wohlhabenden Vierteln. So kommt es, dass schwer psychisch Kranke, die oft den unteren sozialen Schichten angehören, oft Monate auf einen ambulanten Therapieplatz warten müssen, während Wohlhabende, die meistens auch noch die Möglichkeit haben, selbst zu zahlen, in der Regel nur wenige Wochen aushalten müssen, bis sie einen Therapieplatz bekommen.

Einweisung in die Klinik als letzter Ausweg

Oft bleibt schwer psychisch Kranken daher gar nichts anderes übrig, sich in eine psychiatrische Klinik einweisen zu lassen. Im Gegensatz zu den leichteren Fällen können sie nicht monatelang auf einen Therapieplatz warten. Der Missstand in der ambulanten psychotherapeutischen Behandlung schwerer Fälle führte unter anderem dazu, dass die Zahl psychisch Kranker, die stationär behandelt werden musste seit 1990 auf mehr als das Doppelte stieg.

Kein ausreichendes Stundenkontingent für psychisch Schwerkranke

Weitere Probleme in der ambulanten Therapie psychisch Schwerkranker bestehen darin, dass die von der Krankenkasse vorgegebenen Stundenkontingente oft nicht ausreichen für eine jahrelange Psychotherapie bei einem vertrauten Psychotherapeuten. Allenfalls die Psychoanalyse würde hier vielleicht ein ausreichendes Stundenkontingent anbieten, sie wird jedoch gerade für schwerer psychisch Kranke nicht empfohlen. Gerade bei Borderline-Störungen oder auch Psychosen ist nach den derzeitigen Richtlinien die kognitive Verhaltenstherapie die Therapiemethode der ersten Wahl. Diese hat jedoch im Vergleich zur Analyse nur ein sehr geringes Stundenkontingent. Zudem gibt es auch nur noch wenige Psychotherapeuten, die eine Psychoanalyse anbieten. Die meisten zugelassenen Psychotherapeuten haben sich auf Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie spezialisiert.

Mangelnde Vernetzung von Pharmako- und Psychotherapie

Ein weiteres Problem für psychisch Schwerkranke besteht darin, dass ein Behandlungsmethode, entweder nur mit Psychopharmaka oder mit Psychotherapie nicht ausreicht. Sie brauchen sogenannte ,,Ärztliche Psychotherapie“. Diese kann am besten durch einen Psychiater gewährleistet werden, der gleichzeitig auch Psychotherapeut ist und eventuell auch Soziotherapie verschreiben kann, die häufig bei schweren psychischen Erkrankungen indiziert ist. Leider gibt es immer weniger Psychotherapeuten, die gleichzeitig auch Ärzte sind und immer mehr psychologische Psychotherapeuten.

Das Stundenkontingent für die psychiatrische Behandlung ist ebenfalls sehr knapp bemessen. Eine reine psychiatrische Behandlung reicht mit zwei Mal 30 Minuten im Quartal, die nach den Richtlinien von den Krankenkassen genehmigt wird, kaum aus, um eine adäquate Versorgung der Patienten zu gewährleisten. Hinzu kommt noch, dass Psychiater, die gleichzeitig als Psychotherapeut arbeiten dürfen, dazu tendieren, Psychotherapie nach den Richtlinien zu erbringen, statt psychiatrisch zu arbeiten, da psychotherapeutische Arbeit höher vergütet wird.

Wie könnte man die Situation psychisch Schwerkranker verbessern

Die Bundespsychotherapeutenkammer fordert, dass der Bund mehr Psychotherapeuten zulassen sollte, um damit der Unterversorgung in der Behandlung schwer psychisch kranker Menschen entgegenzuwirken. Außerdem sollten Anreize für Therapeuten geschaffen werden, sich fortzubilden im Bereich der schwereren psychischen Erkrankungen und es sollte am besten schon während der Ausbildung darauf geachtet werden, dass angehende Psychotherapeuten auch Kontakt mit schwerer psychisch Erkrankten erhalten, um Berührungsängste abzubauen. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) spricht sich für eine höhere Vergütung psychiatrischer Leistungen aus. Der Borderline-Experte Martin Bohus vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim vertritt die Ansicht, dass man die Arbeit mit Borderline-Patienten besser entlohnen sollte als die mit Menschen, die zum Beispiel nur an einem leichten Erschöpfungssyndrom leiden, um hier weitere Anreize für Therapeuten zu schaffen, auch diesen Patienten einen Therapieplatz anzubieten.

Die Behandlungschancen auch für psychisch schwer erkrankte Menschen, insbesondere auch für Betroffene einer Borderline-Störung stehen gar nicht so schlecht, vorausgesetzt sie erhalten frühzeitig gut vernetzte professionelle Hilfe. Nach Ansicht des Experten für psychiatrische Versorgung, Heiner Melchinger sollten Patienten mit leichteren psychischen Störungen nicht jahrelang die Psychotherapiepraxen für die wirklich bedürftigen Patienten blockieren. Leichtere psychische Probleme könne man seiner Meinung nach effektiver mit der Teilnahme an Selbsthilfegruppen, Sport oder autogenem Training lösen.