Das Spiel mit den Identitäten. Neue Bekanntschaften machen, Kontakte finden, flirten, Gespräche führen und sich die Zeit vertreiben. Das alles sind Motive für die Nutzung von Chat-Rooms und Foren.
Vor allem für Jugendliche ist der virtuelle Gesprächsraum ein anziehender Ort. Dabei spielt das Selbstdarstellungsverhalten der jungen Chatter eine wichtige Rolle. Der Chat-Room ist der geeignete Spielplatz, um mit Identitäten und Rollen zu experimentieren. Aufgrund seiner technischen Voraussetzungen bietet das Medium Internet und der Chat-Room Rahmenbedingungen, die es dem User möglich machen in Rollen zu schlüpfen oder Teil-Identitäten hervorzuheben, die im realen Leben zu kurz kommen oder gar bewusst versteckt werden, wie etwa Homosexualität.
Anonymität und Körperlosigkeit
Da der Text der primäre Darstellungsmodus im Chat ist, können keine personenbezogenen Informationen überprüft werden. Die Anonymität des Individuums im virtuellen Gesprächsraum bietet genügend Freiraum um sich eine neue Identität aufzubauen oder seine eigene in ein besseres Licht zu rücken, was dem Wesen des Menschen entspricht, einen möglichst positiven Eindruck bei seinem Gegenüber oder Gesprächspartner zu hinterlassen. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass es zu einer übersteigerten Identitätsdarstellung im Netz kommt, die inkongruent zu der „wahren“ Identität ist. Nichtsdestotrotz begünstigen die Anonymität und Körperlosigkeit die Kommunikation, die im realen Leben viel gehemmter vonstatten geht, da sich die Gesprächsteilnehmer nicht von ihrer körperlichen Identität trennen können und sich aufgrund bestimmter Wesensmerkmale, wie dick oder dünn, hemmen lassen mit anderen freizügig zu kommunizieren.
Identitätskonstruktion im Chat-Room
Nicht nur die Anonymität und die Körperlosigkeit sind Reize des Chat-Rooms, darüber hinaus bietet dieser Kommunikationsrahmen weitere Vorteile. Die User können in Chat-Rooms zwischen verschiedenen Channels [1] wechseln, die dem eigenen Interesse entsprechen. Es besteht auch die Möglichkeit für die Chatter vom öffentlichen Chat-Room in einen privaten Bereich zu wechseln und andere Chatmitglieder in den privaten Raum einzuladen, um sich so ungestört zu unterhalten und eventuell tiefere Beziehungen mit dem Gesprächspartner zu knüpfen.
Durch die Unverbindlichkeit in den Chat-Rooms kann man auch auf kurzweilige Gespräche und Beziehungen eingehen, die ohne Auswirkungen auf das Offline-Leben des Chatters bleiben. Die Textbasis des Chats bietet Interpretationsfreiräume, die frei von jeglicher biologischer Determinierung sind und somit eine autonome Selbstdarstellung eröffnen, die durchaus einen Identitätswechsel oder die Hervorhebung einer Teil-Identität erlauben.
Nicknames und Gender Swapping
Der erste Schritt zur Identitätskonstruktion im Chat ist der Nickname. Die Wahl des Nicknames bestimmt wesentlich über den Auftritt des Users, so werden weibliche Nicknames im Chat öfters beachtet und angesprochen, wenn nicht sogar belästigt . Die Unüberprüfbarkeit der eigenen Angaben im Netz lassen die Möglichkeit offen sogar mit der Wahl des Geschlechts zu experimentieren. Die Verschleierung des eigenen Geschlechts ist eine weit verbreitete Handlung bei Chat-Usern. Wegen der Körperlosigkeit im Netz lassen sich geschlechtsspezifische Aussagen nicht verifizieren und so können die User ihre Chat-Partner im Glauben lassen, dass sie ein bestimmtes Geschlecht haben, obwohl dies im realen Leben nicht zutrifft. Dieses „Gender-Swapping“ ist nicht nur bei Erwachsenen beliebt sondern auch bei Jugendlichen. Das Experimentieren mit dem Geschlechtertausch kann die Rolle als Frau- und Mannsein transparenter machen.
[1] Channels sind Gsprächskanäle, die von jedem User frei benutzt werden und an denen beliebig viele User teilnehmen können. Es kann auch an mehreren Channels gleichzeitig teilgenommen werden.