Die Geschichte der Heilpflanzenkunde ab dem 16. Jahrhundert.
Erst waren sie weise Frauen, Heilerinnen – dann wurden sie verfolgt.
Die Schul-Else
Wie rasch sich das Ansehen einer heilkundigen Frau von gut zu böse wandeln konnte, zeigt der Fall der Schul-Else aus dem Jahre 1672, die im Busecker Tal lange Zeit als geschätzte weise Frau heilte: Als sie zu spät gerufen wurde, konnte sie ein Neugeborenes nicht mehr retten: Sie wurde beschuldigt, das Kind getötet zu haben, um seine Seele dem Teufel zu weihen, aus dem Leichnam eine Salbe zu kochen. Die Krankheiten, die sie erfolgreich geheilt hatte, sollte sie angeblich angehext haben. Als Beweis: Giftige Pflanzen in ihrem Kräutergarten. Die Schul-Else wurde gefangen genommen, gestand die Tat unter Foltern.
Auf die Hexenverbrennung folgte die „Aufklärung“
Als dieser Wahn sein Ende fand, waren von weisen Frauen und Heilerinnen nur noch wenige geblieben. Es kam der kühle Wind der Aufklärung, der Schemata und anderen Lehren. Linnaeus (Carl von Linné, 1707 bis 1778) machte sich an die Anordnung von Pflanzen nach rein morphologischen Kriterien.
Von nun an sollte sich das Wesen der Dinge nur noch in der objektiv erfassbaren Zahl offerieren. Je weiter man in das 18. Jahrhundert schritt, desto mehr wurde die Medizin eine chemische. Von ungelernten alten Weibern – nicht mehr Weisen – war keine Rede mehr. Weit zuvor aber noch fanden sich erste, weise und doch medizinisch anerkannte Schriften:
Die ersten „Heilpflanzenbücher“ und die Entstehung der Klosterheilkunde
Das erste ausführliche Heilpflanzenbuch schrieb der in Rom wirkende griechische Arzt Dioskurides um 60 bis etwa 78 n. Chr.: In seiner „Materia medica“ fasste er die Grundzüge der pflanzlichen Arzneimittellehre zusammen. Die Beschreibung von 600 Kräutern entwickelte sich zum Standardwerk, das außerordentlichen Einfluss auf die europäische Medizin haben sollte, seine Gültigkeit bis weit ins 18. Jahrhundert behielt.
Etwa zeitgleich erschien von Plinius dem Älteren (23-79 n. Chr.) die vielbändige Naturkunde „Naturalis historia“, in welche die Schriften mehrerer hundert antiker Autoren eingeflossen sind, darunter zahlreiche Berichte über den Gebrauch von Heilpflanzen.
Die Vier-Säfte-Lehre entstand
Ein weiterer Grieche sollte die Geschichte der Medizin prägen: Claudius Galenus von Pergamon, Galen genannt. Er lebte etwa von 129 bis 200 n. Chr., war unter anderem Leibarzt des römischen Kaisers Marc Aurel, stellte exakte Regeln für die Zubereitung von Arzneimitteln auf, schuf eine umfassende medizinische Theorie, beschrieb systematisch die sogenannte Vier-Säfte-Lehre, wissenschaftlich als Humoralpathologie bezeichnet (humor = Saft, pathologia = Lehre von den Krankheiten).
Der Ursprung dessen geht bereits auf Aristoteles zurück, auf der Annahme basierend, dass die gesamte Natur, aus einem Gleichwicht von vier mit einander verbundenen Elementen besteht. Krankheit als Störung dieses Gleichgewichts – Aufgabe des Arztes, dieses wieder herzustellen.
Völkerwanderung und Pest, die ersten Klöster
Die griechisch-römische Kultur ging in den Wirren der Völkerwanderungen und in den justinianischen Pestwellen (537 bis um 700) zugrunde. Hohes und gestrafftes System, beinhaltend Krankenversorgung, Bildung, Postsysteme und vieles mehr. Die Ärzteschaft, vornehmlich bestehend aus Griechen, versank in der Erinnerung, geschunden von Pest und Tod.
Inmitten dieses Chaos tat sich Benedikt von Nursia hervor, der Begründer des abendländischen Mönchtums. Rund um 530 gründete er das Kloster auf dem Monte Cassino, Mutterorden für die Benediktiner. Aus eigenen Überzeugungen entstanden Regeln, die gar der damalige Papst, Gregor der Große, als verbindlich für alle Klöster und die Kirche erklärte: Seele und Körper, deren Wohlbefinden wurde zum zentralen Anliegen.
Neben Benedikt spielte auch sein Ordensbruder Cassiodor eine bedeutende Rolle; beide aber stützten sich letztlich auf die Werke des Hippokrates, Dioskurides und Galenus, des Plinius. Ebenso bestimmt hatte Benedikt, dass jeder Mönch pro Jahr ein Buch zu lesen habe, so blieb in den Klöstern, entgegen des sich weit verbreitenden Analphabetismus das Lesen und Schreiben geläufig; politische, wissenschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung erfuhren sie nicht zuletzt dadurch.
Epidemien richteten und metzelten. Karl der Grosse (Übergang vom 8. zum 9. Jahrhundert) gab die „Capitulare de villis“ heraus: Verordnungen für die Königsgüter und den systematischen Anbau von Pflanzen, einhergehend erfolgte die Einweisung der Mönche in die Grundlagen der Medizin.
Das erste „deutsche Arzneibuch“
Ein erstes, besonders starkes Zeugnis des Umbruches war die Handschrift, die um das Jahr 795 im Kloster Lorsch bei Worms entstand. Das „Lorscher Arzneibuch“. Dieses Werk, ist das älteste erhaltene medizinische Buch, das auf deutschem Boden geschrieben ward. Interessant: Die Rechtfertigung der Heilkunde, der Einstieg. Man nahm die Medizin in Schutz, rechtfertigte sie mit Gott. Das Heidentum vermutlich der eine Grund, die Überzeugung des Klerus, einzig über Leben und Tod zu unterscheiden, der zweite. Zuletzt wurden Krankheiten für eine Strafe Gottes gehalten. Mit diesem Denken versuchte das Arzneibuch nicht nur aufzuräumen, sondern es auszuhebeln. Gedichte, Klostergärten, Ethik, der Verweis auf heimische Kräuter, zahlreiche Rezepturen machten es bemerkenswert. Sensation war, dass Baldrian als Schlaf- und Balancemittel erwähnt worden ist, dachte man doch bis vor kurzem, die beruhigende Wirkung sei erst im 18. Jahrhundert entdeckt worden.
Problematik des überlieferten Wissens
Ungeachtet dieser Schriften geriet die mündliche Überlieferung von Wissen zum Problem. Unbemerkt begann die Entstehung von Rezeptfehlern bei der Überlieferung.
Paradebeispiel hierfür sei die „Ringelblumenrinde“, in verschiedenen, sehr erfolgreichen Kräuterbüchern erwähnt. Anzumerken ist hier, dass die Ringelblume definitiv niemals verholzt und somit auch keine Rinde auszubilden vermag.
Klostergärten entstanden, der Gallener Klosterplan wurde Vorbild: Neben wichtigen Arzneipflanzen barg er auch einen Ort der Ruhe, inneren Einkehr.
Weitere Schriften über Kräuterheilkunde entstanden
Erst in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhundert lässt sich mit dem „Macer floridus“ ein neuerliches Buch zur Kräuterheilkunde finden. Erst mit dem Titel „De viribus herbarum“ (Über die Wirkungen der Kräuter“) vermutlich vom Mönch Odo Magdunensis verfasst, wird an den Dichter Aemilius Macer erinnert. Hier werden nahezu alle Pflanzen behandelt, die bereits im „Hortulus“ angeführt werden, in der zweiten Fassung gar 77, mit mehr als 2000 Hexametern beschrieben. Bei allem aber standen die Heilwirkungen im Vordergrund.
Ebenso kamen die auf Galenus zurückgehenden humoralpathologischen Gedanken vor. Diese hatten nun mit erneuten Einfluss: Therapien wurden ausprobiert, analysiert und währenddessen erlebte die arabische Hochkultur eine Blütezeit. Das dort bemerkenswerte, medizinische und botanische Wissen ist vornehmlich am wohl bekanntesten Arzt dieser Epoche festzumachen: Dem Fürsten der Ärzte, Ibn Sina, Avicenna, so auf Latein.