Unterstützung und Hilfe statt Entrüstung und Empörung. Die Beziehung zwischen Pflegebedürftigen und ihren betreuenden Angehörigen ist häufig belastet – manchmal auch ein Kreislauf aus seelischer und körperlicher Gewalt.
Bis an die Grenze des Erträglichen und manchmal darüber hinaus geht die Belastung von pflegenden Angehörigen: Täglich ist ihr pausenloser Einsatz in Haushalt und Betreuung gefordert – nicht selten nach schlaflosen Nächten. Sie leisten körperliche Schwerarbeit, heben, halten und stützen u.a. beim Waschen, Baden, Anziehen. Sie erleben häufig eine Umkehrung der bisherigen Rollenverteilung, dazu große Intimität und ungewohnte körperliche Nähe, müssen oft Scham und Ekel überwinden, wenn etwa der ihnen anvertraute Mensch einnässt und einkotet. Sie haben keine Zeit für sich, kaum noch Kontakt zu Freunden und bekommen wenig Anerkennung. Und schließlich haben sie in der Regel keine pflegefachliche Ausbildung oder ausreichende Kenntnis über Krankheitsbilder und den richtigen Umgang mit krankheitsbedingten Verhaltensänderungen.
Darüber spricht niemand
Die Folgen tiefer Erschöpfung und übermäßiger Belastung werden von den Betroffenen selbst, aber auch von der Gesellschaft oder dem direkten Umfeld vielfach unterschätzt und können in Gewaltsituationen münden, unter denen alle Beteiligten leiden. Gewalt im so genannten sozialen Nahbereich hat also viele Ursachen und Gründe und zeigt sich deshalb in ebenso vielen unterschiedlichen Formen.
Keiner spricht aber gerne oder leicht über dieses Thema: Oft sind die Schuldgefühle zu groß und die Angst vor möglichen Konsequenzen. Viele hält die Scham zurück, Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen oder das Gefühl jämmelrich versagt zu haben. Angst vor der Entrüstung und Verurteilung durch die Gesellschaft ist aber ebenso Grund dafür, dass Betroffene keine Hilfe und Unterstützung suchen.
Gewalt kennt viele Ausdrucksformen
Die Fachleute unterscheiden viele Formen der psychischen und physischen Gewalt, die in einer Pflegesituation entstehen können, dazu gehört z.B. die Missachtung des Willens, Freiheitsbeschränkung, Ruhigstellen mit Hilfe von Medikamenten, soziale Isolierung, Vernachlässigung. Wobei die Gewalt keineswegs ausschließlich von den Pflegenden ausgehen muss.
Auch pflegebedürftige Menschen können Gewalt ausüben – physisch etwa durch Verweigerung, Schlagen, Beißen – und psychisch, indem sie beschimpfen, beleidigen, drangsalieren, erniedrigen. Wer in solchen Beziehungen wann Opfer und wann Täter ist, diese Festlegung gelingt oft nicht eindeutig. Das hängt neben vielen anderen Aspekten auch davon ab, ob und welche Konflikte bereits vor dem Eintreten der Erkrankung in der Beziehung der beteiligten Personen bestanden haben.
Prävention und Intervention
Noch bevor sich Angehörige entscheiden, ein Familienmitglied dauerhaft zu betreuen und zu pflegen, sollten sie sich deshalb entsprechend gründlich vorbereiten. Hausärzte, kommunale Altenhilfe, Krankenkassen, ambulante Pflegedienste oder gerontopsychiatrische Zentren bieten in Einzelberatungen, Pflegekursen und Veranstaltungen Aufklärung über Krankheitsbilder wie etwa „Demenz“ dazu Pflegeanleitungen und Informationen für Angehörige.
Ebenso wichtig wie die umfassende Information ist es für Angehörige, sich um Entlastungsangebote wie Tagespflege, Kurzzeitpflege, ambulante Pflege, hauswirtschaftliche Hilfe usw. zu bemühen. Der Erfahrungsaustausch mit anderen Angehörigen in Gesprächskreisen und Kursen ist genauso hilfreich wie der regelmäßige Kontakt zu Freunden.
An Fachleuten wie Ärzten, Mitarbeitern des MDK, der sozialen Dienste und der Pflegedienste liegt es, einfühlsam und aufmerksam Pflegesituationen zu beurteilen und rechtzeitig Unterstützung und Hilfen anzubieten, wenn es Anzeichen möglicher Gewalt gibt.
Und an uns allen liegt es, ob wir in Zukunft vorschnell verurteilen oder ob wir das Thema „Gewalt in der häuslichen Pflege“ offen diskutieren und uns engagieren für ein Netzwerk aus Hilfen, Unterstützung und Entlastung.