Das menschliche Genom ist entschlüsselt. Josef Penninger erklärt die Grenzen des Möglichen, realistische Erwartungen und falsche Hoffnungen der Gentechnik.
Dreizehn Jahre nahm die Sequenzierung des menschlichen Genoms in Anspruch, 18 Länder waren beteiligt, zwei Milliarden Dollar verbraucht. Das eröffnete vollkommen neue Möglichkeiten für Grundlagenforschung und medizinisch-angewandte Forschung. Die Möglichkeit, Genome zu vergleichen, eröffnete eine neue Ebene der Wissenschaft. Allerdings: Jede Woche wird irgendein neues Gen entschlüsselt und der Erfolg medial gefeiert. Von verwertbaren Ergebnissen hört man nur selten.
Dass die Gentechnik das Welternährungsproblem nicht lösen kann, ist inzwischen klar. Doch Josef Penninger, seit 2003 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien, ist nicht für eine grundsätzliche Ablehnung. In einem Interview mit der österreichischen Tagezeitung „Der Standard“ vom 17./18. April 2010 erklärte er: „Wenn man Pflanzen machen kann, die mit sehr wenig Wasser auskommen und sehr viel Ertrag haben, da wirds natürlich interessant, auch um die Umwelt zu schützen. Oder man denke nur an die Möglichkeiten, dass genetisch veränderte Pflanzen wie etwa Algen die zukünftigen Treibstoffe für unsere Autos machen werden. Es geht um eine kritische Beurteilung.“
Kein neues Wundermittel
Optimisten erwarten, dass Genetik Krankheiten beseitigen und gesundes Altern ermöglichen wird. Tatsächlich gibt es neue Therapien, die auf Gentechnik basieren, etwa Insulin für Diabetiker, Epo bei Blutarmut, neue Therapien für Krebs oder bald eine Therapie gegen Knochenschwund. Andererseits ist inzwischen auch klar geworden, dass man die häufigsten Erkrankungen wie Krebs, Fettsucht, Herzerkrankungen oder Diabetes nicht durch ein Gen erklären kann, sondern „diese Erkrankungen oft als ein Pingpongspiel unserer Gene mit der Umwelt, etwa unserer Ernährung oder Rauchen, entstehen.“
Die Krankheiten, die uns heute am meisten quälen, sind Zivilisationskrankheiten und wären relativ einfach zu bekämpfen. Dazu braucht es keine Genetik, sondern einen vernünftigen Lebensstil. Es ist allerdings – wie wir alle aus eigener Erfahrung wissen – viel schwieriger, sich selbst zu ändern als von der Wissenschaft und der Pharmaindustrie Wunder zu erwarten.
Komplexität als Grenze des Möglichen
Zu den Wundern, die naive Gemüter von der Wissenschaft der Genetik erwarten, zählt auch die Möglichkeit, gesündere, schönere oder gar intelligentere Kinder zu produzieren. Dazu Penninger: „Kinder macht man am besten zu zweit und überlässt das Ergebnis dem Zufall.“ Will man zum Beispiel nur die Körpergröße beeinflussen, müsste man eine Vielzahl von Genen beeinflussen können. Die Komplexität, auf die ein genetisches Eingreifen stoßen würde, um auch nur einen Zentimeter zu gewinnen, stünde in keiner vernünftigen Relation. Wer sich höhere Intelligenz oder Schönheit (z. .B. Symmetrien von Körperpartien) für seinen Nachwuchs wünscht, steht vor der Tatsache, dass die Komplexität dabei ins Unermessliche steigt. Wer wie Thilo Sarrazin Intelligenz und Bildungswillen genetisch verorten will, liegt mit dieser Ideologie völlig daneben.
Zwar ist für Penninger nicht abschätzbar, was die Wissenschaft in fünfzig Jahren kann, aber aus der Physik des 20. Jahrhunderts wissen wir, dass ein lineares Weiterdenken der Entwicklung an prinzipiellen Größen, wie eben auch der Komplexität, scheitert.
Parallelen zwischen Biologie und Physik
Penninger vergleicht sogar selbst die Biologie mit der Astrophysik. Die Biologen arbeiteten mit fünf Prozent des Genoms, alles andere ist „Junk-DNA“, vergleichbar der „dunklem Materie“ in der Physik, und die ist ebenfalls höchst relevant. „Was in den letzten Jahren an genetischer Information bekannt geworden ist, versetzt uns in einen riesigen Ozean aus Möglichkeiten und völlig neuer Biologie. Wir schauen zurzeit nur auf die Oberfläche und zählen die Wellen. Es gibt unendlich viel zu entdecken, was es alles unter der Wasseroberfläche gibt. Was Physik für das 20. Jahrhundert war, ist moderne Genetik für das neue Jahrtausend.“
Dieser Vergleich ist hochinteressant, drängt sich dabei doch die Frage auf, in welcher Phase der Entwicklung die moderne Biologie steht. Ende des 19. Jahrhunderts glaubten die Physiker, sie müssten nur noch die kleinsten Bausteine der Welt finden, um dann alles – inklusive des menschlichen Gehirns, erklären zu können. Dann kam Einsteins Relativitätstheorie, und mit der Quantenmechanik stürzte das alte klassische Weltbild endgültig wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Die Materie ist nicht aus kleinsten „Bausteinen“ aufgebaut, sondern auf „etwas“, das mit unseren Vorstellungen von Materie überhaupt nichts zu tun hat. Als sich die Elite der Physik zur Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik durchrang, gab es nächtelange Diskussionen darüber, wie absurd doch die Wirklichkeit sei.
Steht die neue Ära der Biologie erst bevor?
Eine gewisse Ernüchterung ist in der Biologie bereits feststellbar, eine vergleichbare Erschütterung des Weltbilds noch nicht. Selbst die Hirnforscher versuchen noch immer verzweifelt, ihre Welt aus kleinsten Bausteinen oder Teilchen, den Neuronen, zu erklären. Biologen wie Penninger ist bereits klar, dass sie ihre Welt aus den kleinsten Teilchen, in diesem Fall den Genen, allein nicht erklären können.
Wenn man aber bedenkt, dass die Physik sich mit einfachsten Systemen beschäftigt, die Biologie aber mit hoch komplexen Systemen, dann muss man in Zukunft einen noch viel größeren Bruch im Weltbild der Biologen erwarten. Die Spannung steigt bereits.