Gegen den bestehenden Mangel an Landärzten fordert Gesundheitsminister Rösler eine Studienplatzvergabe in Medizin ohne Numerus clausus.
Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) hat mit seinen Vorschlägen für eine bessere medizinische Versorgung auf dem Land viel Kritik, aber auch Lob geerntet. Bedenken äußerten Politiker unterschiedlichsten Spektrums und Ärztevertreter. Rösler selbst verteidigte seine Überlegungen: Die Menschen beurteilten eine gute Gesundheitspolitik vor allem danach, wo sie einen Arzt fänden und wie lange sie auf einen Termin warten müssten, sagte Rösler am 7. April im ZDF-„Morgenmagazin“.
Bestehender und sich verschärfender Ärztemangel auf dem Land
Nach Angaben Röslers gebe es auf dem Land einen erheblichen Ärztemangel. Bereits jeder zweite der rund 150.000 niedergelassenen deutschen Ärzte (in Stadt und Land) sei älter als 55 Jahre. Man muss bedenken, dass sich dieses Problem noch aufgrund der Alterung der Bevölkerung verschärfen wird, da immer weniger junge Menschen – und damit auch junge Ärzte auf dem Lande – immer mehr alten Menschen – und damit den meisten Patienten – gegenüberstehen werden („demografische Entwicklung“).
Alterung der deutschen Bevölkerung und Landflucht
Hier rächt sich, dass in Deutschland seit Jahrzehnten immer weniger Kinder geboren werden, sei aus gewandelten Einstellungen (68er Bewegung, Pillenknick), mangelnder Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder dass Einwanderung lange Zeit als kritisch gesehen wurde: in wenigen Jahren wird Deutschland jedenfalls laut diversen Statistiken überaltert sein, insbesondere werden dann gutausgebildete Fachkräfte aller Art auf dem allgemeinen Arbeits- und Ausbildungsmarkt fehlen. Andererseits ist aber auch mit einer weiteren Zuwanderung der Bevölkerung in die Städte (vor allem in Ostdeutschland, aber auch bereits in westdeutschen strukturschwachen Regionen) aufgrund fehlender Jobs, Ausbildungsplätze, Infrastruktur, Kultur und steigenden Benzinkosten zu rechnen – und das bedeutet wiederum weniger Patienten pro Landarzt und weitere Wege für Patient und Hausarzt.
Abschaffung des Numerus clausus und Schaffung von mehr Medizinstudienplätzen
Rösler schlägt gegen die Unterversorgung mit Ärzten auf dem Land ein Bündel von Maßnahmen vor, etwa ein Ende der Zugangsbeschränkung (Numerus clausus) zum Medizinstudium und die Schaffung von mehr Studienplätzen (durch die Bundesländer). Eine Top-Abiturnote (in der Regel wird für den Zugang zum Medizinstudium ein Abiturschnitt von 1,2 bis 1,4 verlangt) garantiert eben noch nicht, dass ein Mensch auch ein guter Arzt ist, der mit Empathie, Engagement und persönlicher Opferbereitschaft seine Patienten bestmöglich behandelt. Auch viele (männliche und weibliche) Sanitäter und Krankenpfleger ohne solche Abiturnoten seien laut Rösler im „Morgenmagazin“ für den Arztberuf geeignet. Festzuhalten ist jedoch auch, dass bereits jetzt 60 Prozent der Medizinstudenten nach anderen Kriterien als reinen Schulnoten ausgewählt werden.
Vorabquote für kommende Landärzte bei der zentralen Studienplatzvergabe
Charme aufgrund seiner einfachen und effektiven Durchführbarkeit hat Röslers Vorschlag einer Vorabquote für zukünftige Landärzte wie bei Bundeswehrärzten. Laut „Frankfurter Allgemeiner Zeitung“ orientiert sich Rösler dabei am Modell der Bundeswehr, für deren Ärzte bei der zentralen Studienplatzvergabe auch ein bestimmter Anteil reserviert ist. Er will eine bestimmte Quote von Studienplätzen für Medizinstudenten reservieren, die zusagen, anschließend auf dem Land zu praktizieren. Denkbar ist hierbei eine schriftliche Verpflichtung, eine bestimmte Anzahl von Jahren als Landarzt zu arbeiten (ähnlich wie bei studierenden Berufssoldaten). Für den Fall, dass diese Zusage nicht eingehalten wird, müssten Sanktionen, wie eine hohe Rückzahlung von Studienkosten, angedroht und auch durchgeführt werden, da im Schnitt ein Medizinstudienplatz rund 250.000 Euro kosten soll.
Kritik von Politikern an Röslers Plänen
Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach kritisierte kurz nach Röslers Vorschlägen in der „Passauer Neuen Presse“: „Wenn der Facharzt in der Stadt mehr verdient als der Hausarzt auf dem Land, nutzen auch neue Auswahlverfahren und Quoten nichts.“ Wichtiger sei es, die Hausärzte besser zu bezahlen und die Zahl der Studienplätze zu erhöhen.
Der niedersächsische Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (CDU) sieht die vorgeschlagene Landarzt-Quote kritisch. Laut seinem Sprecher müsse man Zweifel anmelden, ob das verfassungsrechtlich aufgrund des Rechts der freien Berufswahl durchzusetzen sei. Der „Financial Times Deutschland“ hatte Stratmann vorher gesagt: „Quoten helfen uns überhaupt nicht weiter“. Das Problem seien die Arbeitsbedingungen. „Wenn alle Absolventen eines Medizinstudiums hinterher auch den Beruf ergreifen würden, hätten wir keinen Ärztemangel, nicht einmal einen Landärztemangel.“ Seit Jahren gehen immer mehr ausgelernte Ärzte lieber zu Behörden, Krankenkassen, in die Industrie oder gar ins Ausland, statt ihrer für den Steuerzahler teuer erkauften Ausbildung für die Behandlung von kranken Menschen nachzukommen.
Bessere Bezahlung von Landärzten, weniger Bürokratie und Sparzwang
Deshalb muss der Beruf eines praktizierenden Arztes wieder attraktiver werden, insbesondere seine Rahmenbedingungen: bessere Bezahlung, insbesondere mehr für Patientengespräche, weniger kraft- und zeitraubende Bürokratie und weniger Sparzwang mit den bestehenden finanziellen und juristischen Konsequenzen für den einzelnen Arzt. Die Crux dabei ist jedoch, dass die von immer mehr jüngeren Ärzten und insbesondere Ärztinnen geforderte Vereinbarkeit von Familie und Beruf gerade bei Landärzten aufgrund der langen Wege, vielen Notdienste und wenigen anderen Medizinern vor Ort schwierig durchzuführen ist.
Der Vizepräsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery nannte Röslers Vorschläge zwar „vernünftig“, hält sie aber ebenfalls nicht für ausreichend. Er forderte in den „Ruhr Nachrichten“ die Kommunen auf, die Arbeitsbedingungen für Landärzte zu verbessern. „Die Gemeinden müssen auch die Infrastruktur schaffen, damit ein Arzt abwechselnd in verschiedenen Dörfern Sprechstunden abhalten kann.“ Zudem sei die Zusammenarbeit zwischen Praxen und Krankenhäusern verbesserungswürdig.