Zwei nicht immer genau unterschiedene Unfall-Begriffe. Eigentlich können Superlative nicht gesteigert werden. Greift diese Regel auch im Fall von GAU und Super-GAU ?
Es gibt Stars und Super-Stars, und die werden von Mega-Stars getoppt. Kann man aber den GAU durch einen Super-GAU toppen?
Joschka Fischer-Häme 1986
Bundesumweltminister Wallmann (CDU) warf 1986 allen Atomkraftgegnern, die nach der Tschernobyl-Katastrophe von einem „Super-GAU“ sprachen, schlampigen Umgang mit der deutschen Sprache vor. Schließlich sei es ja so, dass mit dem Akronym GAU der „größte anzunehmende Unfall“ gemeint sei und der Superlativ „größte“ nicht durch ein „Super-“ gesteigert werden könne.
Allgemein worttechnisch hatte der Wortschützer sicher nicht unrecht, fachtechnisch allerdings lag er daneben. Für Joschka Fischer, damals grüner Umweltminister in Hessen, war es ein großes Vergnügen, seinem Bundeskollegen zu erklären, dass „GAU“ im Zusammenhang mit Atomkraftanlagen nicht der größte von Menschenhirnen ausdenkbare Unfall sei. „GAU“ sei stattdessen ein technischer Fachbegriff, der bei der Planung bestimmter Geräte und Anlagen den schwersten durch die jeweilig vorgesehenen Sicherheitssysteme noch beherrschbaren Unfall bezeichnet. Ein „Super-GAU“ sei danach ein Unfall, bei denen die Sicherheitsstandards nicht ausreichen. Die Störung gehe also über die Sicherungen hinaus (=„super“). Und genau das sei in Tschernobyl passiert.
Auslegungsstörfall und Bethe-Tait-Störfall
Wegen seiner Missverständlichkeit wird unter Experten der Begriff „GAU“ meist durch „Größter Auslegungsstörfall“ oder „Auslegungsüberschreitender Störfall“ ersetzt. Durch neue Erkenntnisse oder politischen Druck können sich die Sicherungsvorgaben für eine Atomkraftanlage ständig verändern. Dementsprechend können sich auch die Vorgaben für die Definierung des eine bestimmte Anlage betreffenden GAU verändern.
Sollten Umstände eintreten, die bei den Planungen nicht berücksichtigt wurden und die von den kraftwerksinternen Sicherungen nicht mehr beherrschbar sind, sprechen Atomkrafttechniker statt vom „Super-GAU“ lieber vom nach zwei Physikern benannten „Bethe-Tait-Störfall“.
Politiker, die Atomenergie befürworten, behelfen sich mit „Störfall im rein hypothetischen Bereich“ oder ähnlich beruhigenden Umschreibungen. In der DDR sprach von „Havarie“. In letzter Zeit taucht auch der wenig beruhigende Anglizismus „worst case szenario“ immer öfter auf.
Übernahme des GAU-Begriffs durch die Alltagssprache
In der nichttechnischen Umgangssprache hat sich der Begriff „GAU“ seit 1986 als Kennzeichnung für solche nach menschlicher Vorstellungskraft schlimmsten Ereignisse etabliert, die auf Grund menschlichen oder technischen Versagens eintreten können. Dabei beschränkt sich „GAU“ nicht nur auf tatsächliche oder befürchtete Katastrophen im industriellen Bereich. Im übertragenen Sinne gibt es GAUe auch auf anderen Gebiete des zivilisatorischen Lebens. Zum Beispiel den „Demokratie-GAU“ , „Mode-GAU“ , „Verkehrs-GAU“ oder den „Börsen-GAU“. In diesem Sinn meint die heute häufig verwendete Charakterisierung „Super-GAU“ eine Katastrophe, die das menschliche Vorstellungsvermögen übersteigt.
Im Slang der deutschsprachigen Computer-Benutzer hat sich die „GAU“-Ableitung „DAU“ für „Dümmster anzunehmender User“ eingebürgert.