Wenn man bis vor einigen Jahren von einem „Freund“ sprach, dann meinte man jemanden, mit dem man durch dick und dünn gehen kann. Oder jemanden, den man relativ gerne mag. Oder etwa jemanden, den man wenigstens schon mal gesehen hat. Die neue Definition des Begriffs „Freundschaft“, geschaffen durch Social Network-Seiten wie Facebook, sieht solche Kriterien nicht mehr vor. Ein Freund ist in erster Linie erstmal jemand, der meine „Freundschaftsanfrage“ annimmt. Hierfür bedarf es bei den meisten Nutzern keiner intensiven vorherigen Bekanntschaft.
Mit dem Großteil der „Freunde“ hat man vielleicht einen Blick in der Disko ausgetauscht, hat schon mal zwei Wörter mit ihnen gewechselt oder gar nur von einem Bekannten von ihnen gehört. Auf diese Art und Weise schaffen es manche Nutzer bei Facebook, 500 bis 1000 Freunde zu haben. Diese Zahlen allein ziehen den Begriff des Freundes schon ins Lächerliche, da es unmöglich erscheint, mit so vielen Menschen eine gute Beziehung zu pflegen.
Inflationärer Gebrauch des Freundesbegriffs: Drang nach Aufmerksamkeit
Natürlich steckt hinter dieser Entwicklung auch Kalkül. Es hätte ja durchaus auch der Begriff „Bekannte“ oder einfach „Kontakte“ gewählt werden können, aber nein, Facebook gebraucht absichtlich den Begriff „Freunde“. Hiermit entsteht der Eindruck, dass jemand, der eine größere Anzahl an Freunden bei Facebook besitzt, auch gleichzeitig beliebter wäre. Vor allem bei Jugendlichen wird dieser Eindruck zum Druck. Ein Druck, mehr Freunde zu finden, mehr Freunde als etwa der ungeliebte Typ aus der Parallelklasse. Aus dem Drang heraus, immer mehr „Freunde“ bei Facebook zu gewinnen, flachte der Freundschaftsbegriff jedoch erst ab; es zählte nur noch, besonders beliebt zu wirken, ob man die Leute wirklich kannte, war egal. Es ist ja auch so einfach: Wenige Klicks und schon ist man mit Menschen aus der ganzen Welt befreundet.
Viele Freunde = Einsamkeit?
Dieser Drang nach Aufmerksamkeit resultiert bei vielen nur aus fehlender Akzeptanz im realen Leben. Wer so nicht anerkannt wird und sich einsam fühlt, kann sich heutzutage wenigstens bei Facebook durch viele Kontakte aufwerten. Forscher der Universität Arizona etwa haben belegt, dass zu viele Kontakte bei Facebook eher ein Gefühl der Distanz hervorrufen und zu Schlaflosigkeit und Depression führen. Die Leute mit den meisten Freunden bei Facebook sind also auch oftmals die Einsamsten. So hat also die Umwälzung der Definition des Freundebegriffs zu seiner vollkommenen Enstellung und Entwertung geführt.
Wer heute 1000 Freunde hat, besitzt in der Realität eventuell keine. Es wird eine neue Revolution des Begriffs nötig sein, um ihn wieder zu rehabilitieren. Nur der gute alte Freund, mit dem man sogar Pferde stehlen kann, ist nicht von Facebook bedroht. Denn Pferde stehlen, das kann man im Internet nicht – noch nicht.