Der sexuelle Missbrauch an Kindern ist eine Straftat. Das Thema des Sexualmissbrauchs ist häufig mit starken Emotionen verbunden, die den Blick auf die Fakten und damit die wissenschaftliche Forschung erschweren. Häufig kommt es vor, dass der sexuelle Missbrauch in seiner Schädlichkeit überschätzt wird. Dies soll keine Verharmlosung darstellen, sondern die zu einseitige Perspektive verbessern. Es vermischen sich bei der Schädlichkeitseinschätzung zwei Perspektiven. Einerseits steht da der sexuelle Missbrauch als ein Verstoß gegen soziale Normen, andererseits wird er als ein schädigendes Verhalten betrachtet.
Verbreitete Vorstellung des Missbrauchs
Die emotionale Anteilnahme und die moralische Entrüstung gehen vermutlich darauf zurück, dass man bei dem sexuellen Missbrauch in erster Linie an eine sehr starke körperliche und psychische Ausbeutung denkt. Schnell kommen Bilder von einem Stiefvater hoch, der sein Kind unter Androhung von Strafen zum sexuellen Verkehr zwingt. Oder das Bild vom pädophilen Pfarrer, der die Ministranten in seine Gewalt bringt und zum Sex nötigt. Bei sämtlichen Vorstellungen des Kindesmissbrauchs geht es darum, wie ein Schutzbeauftragter einen Schutzbefohlenen durch seine Überlegenheit missbraucht. Sozialwissenschaftliche Ergebnisse vermitteln jedoch ein anderes Bild des Missbrauchs bei Kindern und Jugendlichen.
Die Schwierigkeit einer Definition
Generell wird unter Kindermissbrauch die Beteiligung noch nicht ausgereifter Kinder und Jugendlicher an sexuellen Handlungen verstanden. Diesen Handlungen können die Kinder nicht in Selbstverantwortung zustimmen, weil sie die Tragweite nicht erfassen können. Häufig kommt es vor, dass ein Erwachsener das Macht- und Kompetenzgefälle ausnutzt, um die Kinder zur sexuellen Stimulation zu nutzen. Bei dieser Definition des Missbrauchs wird keine Rücksicht auf die Sicht des Kindes genommen. Das subjektive Erleben der Kinder spielt hierbei eine besondere Rolle. Denn nicht jede missbräuchliche Handlung wird von den Kindern als solche wahrgenommen, folglich wird auch kein größerer Schaden entstehen. Darüber hinaus ist es wichtig, jede Handlung einzeln zu bewerten, denn häufig gelten bestimmte Handlungen als Missbrauch, obwohl diese keinen darstellen. Das heißt, es ist auch immer die Absicht des vermeintlichen Täters wichtig. Wenn ein Vater sein Kind zum Beispiel im Bad zwischen den Beinen wäscht, so hat dies eine andere Bedeutung, als wenn er sein Kind in jenem Bereich unter der Voraussetzung der sexuellen Stimulation streichelt. Die Handlungen sind sehr ähnlich, die Absichten aber grundlegend verschieden.
Der sexuelle Missbrauch nach Intensitätsgraden
Man unterscheidet vier Formen des Missbrauchs. Als leichte Form des Missbrauchs gilt der Exhibitionismus. Im Allgemeinen findet hier kein Körperkontakt statt. Anzügliche Bemerkungen, das Waschen des Kindes gegen seinen Willen, Beobachten des Kindes beim Umziehen oder das Demonstrieren von Pornomaterial gegenüber dem Kind zählen ebenfalls zu der leichten Missbrauchsform. Dem folgen die wenig intensiven Missbrauchshandlungen. Hierbei geht es um die Versuche, die Genitalien des Kindes zu berühren beziehungsweise sexuelle Küsse mit dem Kind zu praktizieren. Anschließend folgt der intensive Missbrauch. Diese Missbrauchsform bezieht sich auf das Berühren und Vorzeigen der eigenen Genitalien. Zu diesem Handlungsfeld zählt auch der Zwang, dass das Opfer vor dem Täter masturbieren muss. Umgekehrt, also wenn der Täter vor dem Opfer masturbiert, zählt ebenfalls zu dieser Rubrik. Der intensivste Missbrauch besteht in der versuchten beziehungsweise vollzogenen oralen, analen oder vaginalen Vergewaltigung.
Häufigkeit
In Deutschland gibt es noch immer sehr hohe Dunkelziffern, was den sexuellen Missbrauch angeht. Man kann sich auf zwei Quellen stützen, die jedoch Aussagen zu den Tätern und Opfern ermöglichen. Die polizeiliche Kriminalstatistik und die sozialwissenschaftlichen Dunkelfeldstudien geben hierbei Aufschluss. Klinische Studien sind nicht geeignet, weil diese nur einen Ausschnitt der Gesamtpopulation darstellen können. Dieser Ausschnitt befindet sich bereits in therapeutischen Einrichtungen und ist daher meist untypisch. Trotz diverser Studien und Statistiken ist das reale Ausmaß nur schwer bestimmbar. Dies geht vor allem darauf zurück, dass kleine Kinder das Geschehen nicht äußern können und größere Kinder meist schweigen. Jährlich findet man zwischen 10.000 und 15.000 registrierte Fälle. Die Dunkelziffer steht in einem Verhältnis von eins zu achtzehn beziehungsweise eins zu zwanzig. Das Bundeskriminalamt bestätigt circa 60.000 Sittlichkeitsdelikte. Von diesen 60.000 fanden 18.000 an Kindern statt. Bei den Zahlen ist jedoch zu beachten, dass es auf die Definition des Missbrauchs ankommt. Wenn bereits wenig intensive Handlungen als Missbrauch gemeldet werden, ist es nicht verwunderlich, dass es sich um so große Zahlen handelt. Die Ausgangsdefinition spielt daher immer eine wichtige Rolle.
Symptome
1. Für eigene Persönlichkeit:
- Kindliche Angst oder Panik: vorher Angst vor dem Täter, später Angst vor Wiederholung, Gefühlen, Bekanntwerden des „Geheimnisses“, vor Familienbruch, vor Verlust von Liebe und Nähe
- Missbrauchssituation schafft Abscheu, innere Abwehr, Ekel, Scham, Sich-schmutzig-fühlen
- Gefühle verankern sich im Körper
- Widerwärtigkeit bleibt als Gefühl präsent und richtet sich gegen den eigenen Körper
- Scham aus Schuldgefühl
- Depressionen
- Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, extreme Angst, Trauer
- Selbstwahrnehmung, Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl sind geschwächt
- Gefühlschaos aufgrund des Missbrauchs durch eine Vertrauensperson
- Opfer hat Zweifel an eigenen Gefühlen – Folgen: Abschalten der Selbstwahrnehmung, Störung des Selbstvertrauens, geringes Selbstwertgefühl
- Selbstzerstörerisches Verhalten
- Suchtgefährdung
2. Für zwischenmenschliche Beziehungen:
- Grenzverlust
- Abgrenzungsschwierigkeiten
- Angst vor Kontrollverlust
- Gefühl der Hilflosigkeit und Erfahrung, dass Widerstand sinnlos ist
- Lernen der eigenen Ohnmacht („Ich kann nicht über mich selbst bestimmen“)
- nie eigenverantwortliche Selbstkontrolle
- Rückgewinnung der Selbstbestimmung durch absolute Kontrolle
- Kind verliert natürliche Grenze (Eindringen in Privatbereich)
- Im Erwachsenenalter: fehlender Selbstschutz (nicht „nein“ sagen können)
- Missbrauch zerstört natürliche Grenze – Aufbau künstlicher enger Grenzen
- Zerstörtes Ur-Vertrauen (Angst vor engen Bindungen)
- Angst vor freundlichen Menschen (vertraute „liebe“ Person war Täter)
- Angst vor Manipulation und Fremdbestimmung
- Gefühl der Andersartigkeit
- „Hast-du-mich-noch-lieb-Syndrom“
- Wunsch, von allen gemocht zu werden
- Fremdorientierung statt Selbstfindung