Schon Heilkundige der Antike nutzten Weinblätter. Bis in die Neuzeit wurden sie als kühlende Wickel meist bei Schwellungen und Blutergüssen eingesetzt. Ihr Saft sollte bei Magenentzündungen und blutigen Durchfällen – beispielsweise bei Ruhrerkrankungen – helfen.
„Erst Mitte des 20. Jahrhunderts“, berichtet Apothekerin und Naturwissenschaftlerin Dr. Anke Esperester, „berichten Ärzte in Frankreich über den erfolgreichen Einsatz von Auszügen aus roten Weinblättern. Sie nutzten es gegen Venenentzündungen und Hämorriden.“ Von da an sei es nur ein kurzer Weg gewesen, bis das rote Weinlaub in das französische Arzneibuch Eingang fand. Die traditionellen Indikationen des wässrigen Auszugs der Blätter waren Veneninsuffizienz, Kapillarbrüchigkeit und Hämorriden. Klinische Studien, die nach international anerkannten, ethischen und wissenschaftlichen Regeln durchgeführt wurden, folgten Ende des letzten Jahrhunderts. Sie belegten die Wirksamkeit von Tabletten, die 720 mg Trockenextrakt aus roten Weinrebenblättern enthalten.
Die Bonner Venenstudie und ihr Nachfolger
„Im Alter zwischen 40 und 50 Jahren häufen sich Krampfadererkrankungen“, so Dr. Esperester. „Diese Venenerkrankungen schreiten fort, insbesondere dann, wenn eine erbliche Belastung dazu kommt. Zwei Drittel aller 70- bis 80-jährigen leiden an Venenerkrankungen.“
Dass Venenleiden zu den häufigsten Erkrankungen in Westeuropa und den Vereinigten Staaten gehören, bestätigte auch die Bonner Venenstudie, die von 2000 bis 2002 durchgeführt wurde. Sie erfasste die Häufigkeit und Ausprägung von Venenerkrankungen bei mehr als 3.000 zufällig ausgewählten Probanden im Alter zwischen 18 und 79. Über 90 Prozent der untersuchten Männer und Frauen wiesen Veränderungen der Beinvenen auf. Etwa ein Fünftel zeigte die Symptome einer chronisch venösen Insuffizienz (CVI).
„Sieben Jahre später ergab eine Nachuntersuchung, dass viele Teilnehmer, die in der ersten Studie keinen Befund oder nur erste Anzeichen von Venenschwäche zeigten, Krampfadern entwickelt hatten“, so Dr. Esperester. „Der Anteil der Patienten mit CVI war deutlich gestiegen. Rund 20 % derer, die in der ersten Studie Krampfadern hatten, litten sieben Jahre später an einer chronisch venösen Insuffizienz mit Wassereinlagerungen und Hautveränderungen.
Extrakt vom Roten Weinlaub als Phytotherapeutikum
„Flavonoide aus rotem Weinlaub können die Blutgefäße der Mikrozirkulation vor entzündlichen Prozessen schützen“, weiß Dr. Esperester und verweist auf eine klinische Studie an CVI-Patienten. Sie belegt, dass die Durchblutung und die Sauerstoffversorgung in den Beinen der Patienten nach Gabe des Extrakts anstieg.
Typische Zeichen von Entzündungen in den Beinen sind Schwellungen und Schmerzen. „Darüber klagen viele Venenpatienten“, so Dr. Esperester. Präparate, die hier therapeutisch ansetzen, werden als Ödemprotektiva bezeichnet. „Die Wirksamkeit des Weinlaubextraktes wurde wiederholt in klinischen Studien untersucht, zuletzt 2009. Die aktuelle Studie bestätigt, dass Weinlaub die Wassereinlagerungen ebenso verringert wie die Schmerzen. „Die Datenlage zur Wirksamkeit des definierten Extraktes ist so gefestigt, dass die Europäische Arzneimittelbehörde EMA den „well-established use“ (also den anerkannt sinnvollen Einsatz) zur Behandlung der chronisch venösen Insuffizienz in einer Monographie bestätigt hat“, so Dr. Esperester. „Wirksam im Extrakt sind Flavonoide, also pflanzliche Stoffe, die entzündungshemmend wirken.“
Die Menge machts
In der aktuellen Studie nahmen 248 Patienten entweder 720 mg Extrakt aus rotem Weinlaub oder in Placebo. Die Wirksamkeit der Tabletten war signifikant und dem Placebo deutlich überlegen. „Wer unter einer CVI leidet, sollte täglich 720 mg Extrakt nehmen“, so die Wissenschaftlerin. „Zur Vorbeugung tut es die Hälfte.“ Auf die Frage, ob nicht täglich ein Glas Rotwein die gleiche Wirksamkeit zeige, muss Dr. Esperester lächeln: „Um auf 720 mg roten Weinlaub-Extrakt zu kommen, müssten Sie abends drei Flaschen Dornfelder trinken.“ Dornfelder, so die weitere Erklärung, ist eine besonders flavonoidhaltige Färberrebe. „Wenn Sie lieber Bordeaux mögen, müssten es sechs Flaschen sein“.