Eiszapfen faszinieren… sie gehören zusammen mit Eisblumen zu den interessantesten Eisbildungen der Natur. Die bizarren Gebilde findet man nicht nur an Hausdächern und Regenrinnen, sondern auch auch an Quellen in frostigen Wintern, in kalten Höhlen, an Tunneldächern und selbst an Wasserrädern und Flussläufen.
Eiszapfen – finden, ansehen und experimentieren
Die Entwicklung von Eiszapfen ist auf zeitlich gut abgestimmte Änderungen der Temperatur zurückzuführen. Sie entstehen, wenn sich zum Beispiel auf dem Dach eines Hauses Schnee auftürmt und – bedingt durch die Wärmeabgabe des Hauses – die unterste Schicht allmählich schmilzt. Das Schmelzwasser ist durch die darüber liegenden Schneeschichten gegen den Frost isoliert. Schnee ist ein guter Isolator, jeder Gärtner freut sich im Winter über einen Schneeschutz auf seinen Gartenpflanzen. Deshalb rieselt das Wasser mit einer Temperatur von knapp über 0° C von den Dachpfannen herab. Hat das Dach keine Regenrinne oder ist diese defekt oder überfüllt, dann tropft das Wasser an diversen Stellen einfach herunter. Hierbei kommt es mit der kalten Winterluft in Kontakt und gefriert erneut. Je nach Froststärke geschieht dies schneller oder langsamer: Bei mildem Frost bilden sich lange Eiszapfen, bei klirrendem Frost kurze, dicke.
Aber haben Sie sich Eiszapfen bei einem winterlichen Spaziergang schon einmal genauer angeschaut? Jeder einzelne Eiszapfen ist nämlich ein echtes Unikat. Nicht selbstverständlich ist schon die kegelförmige Gestalt des Eiszapfens mit einer nur wenige Millimeter breiten Spitze. Erstaunlich ist auch das Innere, viele (frische!) Eiszapfen weisen nämlich an ihrem Ende ein enges, noch wassergefülltes Rohrstückchen in ihrer Mitte auf. Die Röhre kann sogar mit einem Zahnstocher ertastet werden. Und wenn Sie beim Abnehmen des Zapfens nicht vorsichtig genug sind, läuft Ihnen das Wasser aus dem Röhrchen in den Ärmel. Beobachten lassen sich auch waagrechte Rippen an den Seiten des Eiszapfens und oft ein milchiger Streifen in der Mitte des Zapfens. Auch verdrehte und verbogene Eiszapfen kann man finden. Aber wie kommen diese seltsamen Erscheinungen zustande?
Jeder Eiszapfen hat eine individuelle Entwicklungsgeschichte
Wenn von dem Schmelzwasser des Daches etwas über die Dachkante tröpfelt, bildet es (die Oberflächenspannung des Wassers ist schuld!) zunächst einen Tropfen, der in der frostigen Luft hängt. Wenn der Tropfen nicht sofort herunterfällt, beginnen die Wände zu gefrieren, es bildet sich eine dünne Eisschale um den Wassertropfen herum. Weiteres Schmelzwasser läuft an der Schale entlang herunter, gefriert zum Teil und vergrößert so den noch winzigen Eiszapfens. Die fließende Schicht ist im Allgemeinen sehr dünn, weniger als 0,1 mm. An dieser äußeren Grenzschicht gefriert das Wasser rasch, dabei bilden sich kleine Eiskristalle, die wie verzweigte Finger in die Flüssigkeit hineinwachsen. Die bei der Eisbildung auftretende Wärme wird durch die Flüssigkeit abgeleitet und an die Luft abgegeben. Wasser hat nämlich beim Gefriervorgang ein großes Problem zu lösen: Immer muss es, wenn es zu Eis werden will, Wärmeenergie abgeben. Es ist übrigens die gleiche Wärmemenge, die man aufbringen muss, um Eis zu schmelzen. Sie wird Erstarrungswärme oder Schmelzwärme genannt und ist für Wasser – im Verhältnis zu anderen Flüssigkeiten – relativ groß.
Fließt genug Schmelzwasser nach, bildet sich am unteren Ende ein neuer Tropfen. An der Spitze des Eiszapfens sammelt sich mehr Wasser an als an irgendeiner anderen Stelle, der Zapfen wächst daher normalerweise schneller in die Länge als in die Breite. Wenn der Tropfen allerdings zu groß ist (etwa 5 mm Durchmesser) fällt er einfach ab. Tropfende Eiszapfen kann man oft beobachten, der Nachfluss an Schmelzwasser ist dabei immer größer als die Menge an Wasser, die gefriert. Die Spitze des Eiszapfens ist schmal, sie wird nur von der Größe des hängenden Wassertropfens bestimmt. Ist die Wasserversorgung allerdings schwach, kann das gesamte Wasser gefrieren.
Eiszapfen haben oft innen eine mit Wasser gefüllte Röhre
Eis ist – genauso wie Schnee – ein guter Wärmeisolator, Eskimos wissen das. Hat sich am Tropfen eine Eisschale gebildet, dann gefriert von diesem Augenblick an die Flüssigkeit innerhalb der Schale nur noch langsam. Der innere Gefrierprozess hinkt dem äußeren, bei dem die Wärme an die umgebende Luft abgegeben werden kann, deutlich hinterher, es entsteht eine Gefriergrenze. Von dort bis zur Spitze des Eiszapfens verbleibt dann eine mit Wasser gefüllte Röhre. Ist die Röhre schmal, kann die Wassersäule nicht abfließen, trotz ihres Gewichtes bleibt sie im Röhrchen hängen. Und Luft kann von unten auch nicht eindringen. Ein vollkommen durchgefrorener Eiszapfen entsteht erst, wenn beispielsweise in der darauf folgenden kalten Nacht der Schmelzwasserzufluss stoppt, das Wachstum an der Spitze aufhört und der Eiszapfen genügend Zeit hat, komplett zu gefrieren.
Milchige Eiszapfen und Rillen auf den Zapfen
Milchig werden viele Zapfen durch im Eis eingeschlossene Bläschen. Dabei handelt es sich um im Wasser gelöste Luft. Winzige Luftbläschen werden bei der Eisbildung, die von außen erfolgt, zunächst in die Mitte gedrängt. Dort vereinigen sich etliche dieser Bläschen und werden letztendlich eingefroren. Das Phänomen findet man auch bei Eiswürfeln: In der Mitte ist häufig ein trüber Bereich mit Luftbläschen. Wenn das Wasser gefriert, nehmen die vorher frei beweglichen Wassermoleküle feste Plätze im Kristallgitter ein und drücken die gelösten Luftmoleküle aus diesem Verbund. Auch hier wird die gelöste Luft mit der vordringenden Eishülle in der Mitte eingeschlossen.
Rippen oder Rillen auf den Zapfen, krumme Eiszapfen oder Eiszapfen mit gewundenen Bahnen findet man ebenfalls häufig. Sie entstehen, wenn bei einem breiten Eiszapfen das Schmelzwasser beginnt, in kleinen Rinnsalen entlang spezieller Wege zu laufen, anstatt ihn gleichmäßig zu benetzen. Wind kann dazu beitragen, dass das Wasser nicht mehr gleichmäßig den Zapfen herunter rinnt oder sich der Wärmeverlust an der dem Wind zugewandten Seite erhöht. Manchmal sind kleinste Unebenheiten auf dem Eiszapfen die Ursache. Auch der Tropfen an der Spitze kann vom Wind verformt werden und so zur Krümmung des Eiszapfens beitragen.