Nahrungsmittelhersteller vermarkten Kaugummi immer mehr als Medizinprodukt. Doch die Zuckeraustauschstoffe in der beliebten Süßware sind nicht unproblematisch.
Süßstoffe als Ersatz für Zucker in Lebensmitteln stehen immer wieder in Verdacht, gesundheitsschädlich zu sein. Bei Tieren sind schädliche Wirkungen bereits nachgewiesen. Die amerikanische Tierschutzorganisation The American Society for the Prevention of Cruelty to Animals (ASPCA) hat seit 2006 vermehrt Fälle von Xylitol-Vergiftungen bei Hunden gezählt. Gegenüber dem Vorjahr 2005 war das ein Anstieg um 150 %, was man auf die rasante Ausbreitung des in der Lebensmittelbranche neu eingesetzten Zuckeraustauschstoffes Xylit oder Xylitol auf dem amerikanischen Markt zurückführt. Vielleicht liegt das aber auch nur an mehr Kaugummi, der ausgespuckt wurde? Zwei bis drei Dragees mit Xylitol könnten laut ASPCA bei einem Hund mittlerer Größe zu Leberversagen führen und tödlich wirken.
Nebenwirkungen von Süßstoffen nicht ausgeschlossen
Auf Menschen soll Xylit nach bisherigen Erkenntnissen keine negativen Wirkungen haben. Im Gegenteil, der Zuckeraustauschstoff wird von der Nahrungsmittelindustrie als gesundheitsfördernd und karieshemmend beworben und deshalb gern in Zahnpflegeprodukten oder Kaugummis eingesetzt.
Während Zucker die Bildung von Serotonin, den Botenstoff fürs Wohlbefinden im Hirn, anregt, fehlt dieser Effekt bei Süßstoffen völlig. Nebenwirkungen sind jedoch laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei empfindlichen Menschen nicht auszuschließen. Daher sieht die WHO den Verbrauch von Süßstoffen nicht ganz so unproblematisch wie viele Konsumenten. Vorsicht heißt es besonders bei Kleinkindern, denen heute gern an Stelle des zahnschädigenden Zuckers Süßstoffe gegeben werden. Ein Kind braucht keine Süßungsmittel, die natürliche Süße von Früchten reicht völlig aus.
Kaum ein Kaugummi kommt ohne Zuckeraustauschstoffe aus
Es sieht allerdings sehr danach aus, als könnten wir uns bald nicht mehr aussuchen, ob wir Süßigkeiten mit oder ohne Zucker zu uns nehmen wollen. Das Angebot wird für Menschen, die auf künstliche Süßstoffe zumindest bei Kaugummi verzichten wollen, immer magerer. Die Hersteller von Zuckerersatzstoffen, Süßungsmitteln und Austauschstoffen haben in den letzten fünf Jahren den Markt für sich erobert. Ein Test im Supermarkt und der genaue Blick auf die Inhaltsstoffe der Kaugummimarken ist ernüchternd. Es ist beinahe unmöglich, heute noch Kaugummi mit einfachem Pfefferminzgeschmack und ausschließlich mit Zucker gesüßt zu kaufen. Aspartam, Acesulfam, Sorbitol, Manitol, Maltitol oder eben Xylitol stecken in den Marken aller Hersteller.
Nur wenige der neuen Kaugummisorten werden überhaupt noch mit Zucker gesüßt. Das sind Wrigleys Juicy Fruit, Hubba Bubba und Doublemint, die Traditionsmarke von 1914. Obwohl diese Sorten genug Zucker enthalten, wurde zusätzlich noch Aspartam und Acesulfam-K beigegeben.
Modernes Marketing der Kaugummindustrie – moderne Geschmacksverirrungen
Zudem ist es zur Unsitte von Marketing-Strategen der Nahrungsmittelriesen geworden, Kaugummis wie Lifestyleprodukte zu bewerben und mit unzähligen Zusätzen zu versehen. Der Fantasie und Einsatzfreude künstlicher Aromen und Chemiecocktails sind dabei keine Grenzen gesetzt. Die Trident-Serie des britischen Nahrungsmittelriesen Cadbury etwa gibt es in den Geschmacksverirrungen Splash, Senses, Tornado oder Dental. Der amerikanische Kaugummiproduzent Wrigley kontert mit Produkten, die quasi die Zahnbürste ersetzen können. Die Spielarten seiner neuen Produktlinie Microburst – natürlich ohne natürlichen Zucker – versprechen eine Art Munddusch-Erlebnis. Marken mit den peppigen Namen wie Peppermint Spray, Watermelon Spring und Mango Surf lösen nach Herstellerangaben einen Hydrierungseffekt aus. Zugleich lassen sich die Zähne bleichen.
Den Vogel schießt Cadburys Marke Clorets, ein Zahnpflegekaugummi mit Chlorophyll, das vor allem in Nordamerika vertrieben wird, ab. Die Hersteller bewerben die giftgrüne Packung mit der Geheimformel Actizol. Dieses Fantasieprodukt soll den Kauenden „active“ machen und einen Kennenlerneffekt auslösen. Nach dem Motto: Wer viel kaut, wird gern angesprochen.
Stressabbau mit Kaugummi kauen?
Kaugummi ist von der Süßware zum Design- und Medizinprodukt geworden und bietet das beste Beispiel für ein völlig aus den Fugen geratenes Produktmarketing. Der weltweit größte Kaugummihersteller Wrigley hat 2006 in Chicago gar ein hauseigenes Forschungsinstitut, das Wrigley Science Institute gegründet, um seine Marketingstrategien wissenschaftlich zu unterlegen. Die Forschungsprojekte erforschen Effekte wie:
- Weight Management (Gewichtsregulierung)
- Stress Relief (Stressabbau)
- Increased Alertness, Focus And Concentration (Höhere Aufmerksamkeit und Konzentration)
Sind solche gesundheitlichen Wirkungen des Kaugummikauens erst fachmännisch in Studien belegt, kann Wrigley seinen derzeitigen Marktanteil Wrigleys von 63% auf dem US-Markt noch ausbauen. Man darf gespannt sein, was Wrigleys Forscher uns in den nächsten Jahren an Erkenntnissen präsentieren werden. Vielleicht kann Kaugummi kauen auch das Ozonloch stopfen? Fantastische Zeiten stehen uns bevor!