Den Begriff Egoismus nimmt niemand gern für sich selbst in Anspruch. Dennoch existiert der Begriff auch als gesunder Egoismus. Wo liegen die Unterschiede?
Egoismus ist einerseits ein in unserer Gesellschaft verpönter Begriff, andererseits wird jedoch gerade in der Psychologie immer mehr der Begriff des gesunden Egoismus propagiert. Da das Wort Egoismus negativ behaftet ist, fällt es schwer, eine positive Definition zu finden. Egoismus als gesund zu bezeichnen, scheint auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein. Egoismus wird in der Gesellschaft als rücksichtslose Verhaltungsweise wahrgenommen. Die Rücksichtslosigkeit richtet sich gegen die Mitmenschen. Ein Egoist ist auf seinen eigenen Vorteil bedacht und nimmt in Kauf, dabei anderen Menschen im Zweifelsfall auch Schaden zuzufügen. Wie kann es also zum Begriff des gesunden Egoismus kommen?
Egoisten werden geboren
Wären neugeborene Lebewesen keine Egoisten, würden sie nur schwer überleben. Wird beispielsweise ein Wurf Hundewelpen beobachtet, sind bereits im Alter von wenigen Wochen Größen- und Gewichtsunterschiede feststellbar. Die Egoisten sind die Größeren. Sie sind die ersten an der Nahrungsquelle und schubsen ihre Wurfgeschwister, die sie als Konkurrenten ansehen, gnadenlos weg. Greift der Mensch nicht ein, kann es durchaus geschehen, dass ein Welpe verhungert. Zwar verhält es sich bei menschlichem Nachwuchs nicht so rabiat, aber ein Baby muss schreien, um seine Bedürfnisse anzumelden. Je länger es warten muss, desto energischer werden seine Schreie. Bereits im Kleinkindalter wird der angeborene Egoismus, der ein reiner Überlebensinstinkt ist, eingedämmt. Durch Erziehung soll aus einem Egoisten ein rücksichtsvoller Mensch werden, der auch gibt und nicht nur nimmt.
Egoismus und Rücksichtnahme
Die Erfolge der Erziehung begleiten den Menschen in der Regel ein Leben lang. Dennoch entwickeln sich die einen zu richtigen Egoisten und andere eher zu bescheidenen Menschen. Die Bescheidenen, die immer nur auf andere Rücksicht nehmen, haben es meist nicht leicht und bringen es oft auch nicht weit. Die reinen Egoisten bringen es zwar weiter, müssen sich jedoch zumeist mit weniger privaten sozialen Kontakten begnügen. Sie sind keine angenehmen Zeitgenossen. Treffen diese beiden Charaktere aufeinander, werden sie kaum Freundschaft schließen, es sei denn, der Egoist erkennt für sich einen Vorteil aus solch einer Verbindung. In diesem Fall wird er alles tun, den anderen zum Freund zu gewinnen und unter Umständen sogar seinen Eigennutz dabei verbergen. Sein Gegenüber erkennt zwar das wahre Gesicht, ist jedoch so stark auf Rücksichtnahme bedacht, dass er es nicht schafft, eigene Grenzen zu schaffen und zu halten.
Das Helfersyndrom
Das Handeln im Sinne und für andere Menschen kann schnell zum so genannten Helfersyndrom werden. Die eigenen psychischen und physischen Grenzen werden hier meist nicht mehr wahrgenommen. Diese Menschen handeln bis zur Selbstaufgabe nur noch für andere. Die Gründe dafür können sehr unterschiedlich sein. Manche erhoffen sich dadurch Lob und Bestätigung, die sie, scheinbar, auf normalem Wege nicht erreichen können. Andere empfinden es als ihre Lebensaufgabe, Menschen zu helfen. Bekannt ist das Helfersyndrom zum Beispiel auch bei Angehörigen von Suchtkranken. In ihrem Bedürfnis, den Suchtkranken von seiner Sucht befreien zu wollen, geben sie sich selbst häufig völlig auf. Geht es dem Kranken schlecht, geht es auch ihnen schlecht und umgekehrt. Sie sind nicht in der Lage, den Sinn des gesunden Egoismus einzusetzen.
Der gesunde Egoismus
Beide Extreme – purer Egoismus und reine Rücksichtnahme – sind im Endeffekt für ein erfülltes Leben schädlich. Wer anderen Menschen helfen möchte und sich selbst dabei aus den Augen verliert, kann am Ende nicht helfen, weil er selbst zu Grunde geht. Ein gesunder Egoismus hat nichts mit Eigensucht zu tun. Es gilt, für sich selbst Sorge zu tragen, darauf zu achten, dass es einem gut geht und man sich in der eigenen Haut wohl fühlt. In vielen Lebensbereichen ist der gesunde Egoismus sogar überlebenswichtig. Mitarbeiter in Berufen, die der Rettung von Menschen dienen, wie beispielsweise bei der Feuerwehr oder der Bergwacht, sind darauf angewiesen, immer zunächst an ihre Eigensicherung zu denken. Begeben sie sich gedankenlos unnötig in Gefahr, ist keine Hilfe für andere möglich. Niemand käme auf den Gedanken, diese Menschen egoistisch zu nennen, weil das Wort im allgemeinen Sprachgebrauch negativ behaftet ist. Und doch kann man hier vom gesunden Egoismus sprechen.
Gesunder Egoismus im Alltag
Im Alltag entstehen ständig Situationen, die einen gewissen Egoismus erfordern. Ein Arbeitnehmer, der permanent bis zur Erschöpfung arbeitet – aus Angst um den Arbeitsplatz oder aus Kollegialität, wird dies nur bis zu einer gewissen Grenze schaffen. Nicht umsonst wird das Thema Burn out immer aktueller. Dieser Mensch nutzt weder seiner Firma, noch seinen Kollegen, noch sich selbst. Ebenso kann es Menschen ergehen, die eine starke soziale Ader haben und ständig bereit sind, anderen zur Seite zu stehen. Sie erhalten Dankbarkeit und Bewunderung für ihr Engagement. Wenn sie selbst einmal Hilfe benötigen würden, bitten sie meist nicht darum und wenn doch, werden sie oft bitter enttäuscht. Solche Vorgänge können sogar in eine Depression führen. Hausfrauen, die sich Jahrzehnte lang nur um die Familie gekümmert haben und nie an sich selbst dachten, fallen in ein tiefes Loch, wenn sie nicht früh genug gelernt haben, auch wieder etwas für sich selbst zu tun.