Verliebte Frauen erleben oft eine Sehnsucht, die sie selbst nicht verstehen. Statt zu flüchten kann eine Auseinandersetzung mit sich selbst helfen.
Verliebte Frauen verstehen sich oft selbst nicht. Eben noch lebten sie ihr eigenständiges Leben und waren stolz auf ihren Weg und ihren Erfolg, dann plötzlich verspüren sie die fatale Neigung, alles aufzugeben, um nur noch für den Mann da zu sein, der ihr Herz berührt. Sie wagen sich nicht vom Telefon weg, weil er anrufen könnte, oder stehen stundenlang am Fenster, weil er vielleicht vorbeikommen könnte. Selbst wenn sie wissen, dass es komplett sinnlos ist – sie können nicht anders. Was ist es, das Frauen zu solchen Verhaltensweisen treibt? Wie kommen sie aus der Falle heraus, ohne sich und den betroffenen Männern Vorwürfe zu machen, aus der Beziehung zu flüchten oder sich aufzuopfern?
Die Sehnsucht der starken Frau nach dem starken Mann
Maja Storch zeichnet in ihrem Buch „Die Sehnsucht der starken Frau nach dem starken Mann“ ein gutes Bild der inneren Zerrissenheit vieler Frauen. Auf der einen Seite suchen sie eine gleichberechtigte Partnerschaft und wollen ihr eigenes Leben leben. Sie suchen einen Mann, der das versteht und genauso sieht und mit dem sie über alles reden können. Gleichzeitig sehnen sie sich nach dem „einsamen Wolf“, der seine Freiheit liebt, der genau weiß, was er will und der auf diese Art eine Stärke ausstrahlt, nach der diese Frauen eine tiefe innere Sehnsucht haben.
Traditionelle Rollenbilder spielen immer noch eine Rolle
Storch sieht die Verankerung dieser tiefen Sehnsucht unter anderem in den traditionellen Rollenbildern, die auch heute noch implizit vermittelt werden. Gerade in den ersten, prägenden Lebensjahren empfinden Kinder ihre Mutter oft als diejenige, die da ist, für die gesorgt wird und die selbst Geborgenheit gibt. Die Väter dagegen sind der aktive Teil, sie arbeiten außer Haus, „streunen“ also herum, sind aber da, wenn sie gebraucht werden. Gerade weil diese Bilder oft nur unbewusst existieren und dem gelebten Bewusstsein widersprechen, fällt der Umgang mit ihnen schwer. Eine Aktivierung der inneren Bilder passiert beispielsweise dann, wenn sich eine Frau in den dazu „passenden“ Mann verliebt.
Die Schattenseiten wirken im Verborgenen
Storch entwickelt ihre Ansichten auf Basis der Theorien von Carl Gustav Jung, dem Begründer der analytischen Psychologie. Nach Jung hat jeder Mensch bewusste und unbewusste Wesensanteile. Während uns die bewussten weniger Probleme bereiten, weil wir sie kennen, stellen uns die unbewussten oftmals vor ein Rätsel. Es sind die Anteile in uns, die wir in unsere „Schattenwelt“ verdrängt haben. Vielleicht passen sie nicht in unsere Lebensplanung, vielleicht wurden sie uns als schlecht vermittelt, vielleicht haben sie uns in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen beschert. Jeder Mensch hat hier seine eigenen Gründe für die Verdrängung.
Nach Jung strebt der Mensch aber nach Ganzheit, das heißt, dass auch seine verborgenen Anteile irgendwann beachtet werden wollen. Sorgt er nicht bewusst dafür, dass sie zu ihrem Recht kommen, übernehmen sie im geheimen das Steuer und lenken den Menschen. Storch hat dafür den Begriff der „geheimen Steuerfrau“ beziehungsweise den des „geheimen Steuermanns“ geprägt.
Die unterentwickelte schwache Frau und ihr patriarchaler Gegenspieler
In unserer heutigen Gesellschaft sind die weichen, „weiblichen“ Seiten oft diejenigen, die unterdrückt werden. Strebt diese unterdrückte, weibliche Seite der Frau nach mehr Geltung und trifft sie auf einen Mann, der ihrem inneren, patriarchalisch geprägten Bild des Mannes entspricht, dann passen diese beiden Anteile plötzlich perfekt zusammen. Sie passen nur nicht zu dem, wie die Frau sich bisher kannte und wahrnahm. Je tiefer und ungewusster die Anteile und Bilder vorher gewirkt haben, umso heftiger trift die Frauen nun die Verwirrung. Sie verstehen sich selbst nicht und haben auch niemanden, der ihnen beim Verstehen hilft. Noch weniger verstehen es die Männer. Sie können meist nur hilflos zusehen.
Der Ausweg aus dem Dilemma: Sich selbst annehmen
Als Ausweg rät Storch den Frauen, an ihren unterdrückten Seiten zu arbeiten und sie in ihr Leben zu integrieren. Als Hilfestellung bietet sie dazu eine Interpretation des Märchens „Vom Mädchen ohne Hände“ an. In dieser Geschichte entwickelt sich ein Mädchen nach Verlassen des Elternhauses zunächst zu einer unselbständigen Frau, eben einem „Mädchen ohne Hände“. Erst unter Schmerzen und nach einer langen, einsamen Zeit trifft es den geliebten Mann wieder, dem es jetzt als selbstbewusste und gleichberechtigte Partnerin entgegentreten kann.
Wesentlich an dieser „schmerzensreichen, einsamen“ Zeit ist, dass die Frauen sie zur Selbstfindung nutzen. Sie müssen für sich klären, was ihre eigenen Wünsche im Leben sind und wie sie sie für sich selbst verwirklichen können. Wer weiß, was er will, muss seine unbewussten Wünsche nicht länger bei einem Gegenüber suchen, sondern kann selbst für deren Erfüllung sorgen. So würde eine Frau, die sich immer wieder in einen Streuner verliebt, vielleicht selbst gerne viel ungebundener und freier agieren, fühlt sich aber gesellschaftlich oder beruflich gebunden. Die Hoffnung, dass mit dem Mann dann auch die gewünschte Freiheit kommt, ist zwar naheliegend, aber trügerisch.
Frauen, die auf dieser Art mit sich im Reinen sind und auch ihren weiblichen Anteil im Leben integriert haben, können sich dann auf einen Mann als den Menschen einlassen, der er ist. Sie werden nicht länger von geheimen Steuerfrauen und unbewussten Wünschen gelenkt sondern verstehen, was sie von einer Beziehung erwarten.
Ein Buch nicht nur für starke Frauen
„Die Sehnsucht der starken Frau nach dem starken Mann“ ist auch für Frauen geeignet, die sich selbst nicht nur als stark empfinden. Für sehr viele Frauen ist die Erkenntnis, dass sie auch eine schwache Seite haben, nicht sonderlich überraschend. Darüber hinaus ist das Buch auch für Männer geeignet, die ihre Frauen ein wenig besser verstehen wollen.
Storch führt sehr schön an die Theorien von Carl Gustav Jung heran, Vorkenntnisse sind hier nicht nötig. Wer allerdings weiß, dass er mit Jungs Gedankengebilde oder psychologischen Märcheninterpretationen nichts anfangen kann, für den ist das Buch weniger geeignet. Alle andern können aus dem Buch wertvolle Erkenntnisse für sich und ihr Leben gewinnen. Vor allem dann, wenn sie es als Arbeitsbuch betrachten und keine vorgefertigten Lösungen suchen.