Die Medikamentenabhängigkeit: oft unterschätzt

Schlaf- und Beruhigungsmittel werden oft als Suchtmittel missbraucht.

Der Griff zur Schlaftablette sollte immer nur in Ausnahmefällen erfolgen, worauf medizinische Fachbücher und Ratgeber immer wieder hinweisen.

 

Gerade durch TV-Werbung wird oft der Eindruck erweckt, dass es sich bei medizinischen Produkten wie Abführmitteln, frei verkäuflichen Analgetika (Schmerzmitteln) und Schlafmitteln ebenso um Produkte des täglichen Bedarfs handelt wie bei Lebens- und Waschmitteln oder Kosmetika. Insbesondere die Firma Ratiopharm fällt durch häufige Werbespots auf, wenn dies auch teilweise dadurch verschleiert werden soll, dass sich das Unternehmen für das Projekt „World in Balance“ einsetzt.

Verharmlosung durch die Pharma-Industrie

Konfrontiert man Forscher der Pharma-Industrie mit Tatsachen, aus denen hervorgeht, dass bestimmte Wirkstoffe und Medikamente ein hohes Suchtpotential beinhalten oder sogar für Straftaten missbraucht werden wie etwa Rohypnol, Liquid Ecstasy und andere K. O.-Tropfen, werden diese Vorwürfe durch Ableugnen oder Bagatellisierung zu entkräften versucht.

Welche verheerenden Konsequenzen diese Verharmlosung von bestimmten Medikamenten, insbesondere von Schlafmitteln, haben kann, zeigt sich etwa im Fall des Schlafmittels Contergan, das erst vier Jahre, nachdem die ersten Missbildungen von Kindern bekannt geworden waren, vom Markt genommen wurde.

Benzodiazepine als Suchtmittel

Während die Schlafmittel früherer Generationen oft auf Barbituraten basierten, gehören die heutigen Schlaf- und Beruhigungsmittel zur Gruppe der Benzodiazepine, von Insidern kurz „Benzos“ genannt. Das bekannteste Mittel aus der Psychiatrie ist Valium, das heutzutage jedoch vielfach unter der Bezeichnung „Diazepam“ im Handel ist.

Wie bei anderen Suchtmittelabhängigkeiten ist die Abhängigkeit von Schlaf- und Beruhigungsmitteln unter anderem durch eine kontinuierliche Toleranzerhöhung gekennzeichnet. Die Betroffenen können irgendwann nicht mehr ohne die Hilfe von Benzodiazepinen einschlafen, so dass die Dosen immer weiter erhöht werden. Zunächst ist die Müdigkeit am Tag verständlicherweise überdurchschnittlich ausgeprägt, so dass es zu einer wechselseitigen Abhängigkeit von Benzodiazepinen und Amphetaminen (Aufputschmitteln) kommen kann. Nach einer gewissen Zeit ist jedoch der Punkt erreicht, an dem der Betroffene trotz Einnahme von Benzodiazepinen nicht mehr einschlafen kann und – egal, ob mit oder ohne Beikonsum von Aufputschmitteln – total aufgekratzt und überdreht ist.

Schlafmittel als Einstiegsdroge

Viele ehemals Abhängige berichten, dass der Konsum von Benzodiazepinen oft der Einstieg für eine spätere Heroinsucht war. Übereinstimmend wird zudem berichtet, dass die körperliche Entgiftung vom Heroin viel rascher möglich ist, als die Entgiftung von Benzodiazepinen. Mediziner begründen dies damit, dass die Benzodiazepine sich in den Körperzellen einlagern und somit nicht so schnell abgebaut werden können wie andere Suchtstoffe. Oft kommt es zu so genannten Flashbacks, das heißt, selbst ohne aktuelle Einnahme von Schlafmitteln treten temporär Entzugs- und andere Suchterscheinungen auf.

In der Kombination Heroin – Benzodiazepine ist laut Aussage früherer Süchtiger ein längerer und intensiverer Rausch möglich als beim reinen Heroin-Konsum.

Ist der Missbrauch von Schlafmitteln tödlich?

Die Langzeitfolgen von länger andauerndem Benzodiazepin-Missbrauch sind eher organischer und psychischer Natur. Während der Selbstmord mit einer Überdosis Barbituraten früher möglich und häufig praktiziert war, funktioniert dies beim alleinigen Konsum von Benzodiazepinen heutzutage nicht mehr. Bei einer Überdosierung kann es zu Übelkeit und Erbrechen kommen, des Weiteren ist die Schlafperiode wesentlich verlängert. Tödlich verläuft der akute Konsum von Benzodiazepinen nur in Kombination mit Alkohol und in ungünstigen Fällen mit Heroin.

Therapiemöglichkeiten

Neben der körperlichen Entgiftung kommen psychotherapeutische Verfahren wie Kurzzeit-, Gesprächspsycho-, Kunst- und Verhaltenstherapie zum Einsatz. Auch Gruppensitzungen mit mehreren Abhängigen sind durchaus üblich. Die Entgiftung und die sich daran anschließenden psychotherapeutischen Maßnahmen erfolgen stationär, erst nach einer gewissen Stabilisierung des Patienten wird die Therapie ambulant fortgeführt.

Wieso greifen manche Menschen zu Schlafmitteln?

Klagt ein Patient über Schlafstörungen, wird seitens vieler Mediziner selten nach der Ursache (Partnerschaftsprobleme, Probleme am Arbeitsplatz, finanzielle Sorgen etc.) gefragt. Stattdessen wird ein Schlafmittel verschrieben, oft mit dem Hinweis, dass die Tabletten nur in Ausnahmefällen genommen werden sollen. Der Körper gewöhnt sich jedoch recht schnell an den Wirkstoff und das Gefühl, endlich wieder schnell einschlafen zu können trotz nach wie vor bestehender Konflikte. Manche Betroffene berichten, dass sie im Zuge eines akuten psychotischen Schubs Valium bekommen haben und sich später, als sich ihr Zustand wieder stabilsiert hatte, an die angenehme Wirkung wie Beruhigung von Ängsten und Sorgen erinnert haben. Schlaf- und Beruhigungsmittel werden somit als Allzweckwaffe bei aktuellen Konflikten und Sorgen missbraucht, wobei unterschwellig die Verharmlosung durch Werbung und Pharma-Industrie eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Oft kann auch schlechtes Vorbildverhalten im Elternhaus eine Rolle spielen.

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