Die Kraft der Imagination ist wichtig für die Zufriedenheit. Sie wirkt jedoch anders, als man allgemein glaubt.
Anna stand in einer entscheidenden Phase ihrer Diplomarbeit. Der hohe Druck blockierte jedoch jedes vernünftige Denken und nach und nach bekam Anna das Gefühl, dass sie falsch studiert habe und generell „zu dumm“ sei. In dieser Situation ließ sie sich Tarot-Karten legen. Die Kartenlegerin „prophezeite“ ihr, dass sie ein dunkles Tal durchwandern werde, aber schon bald das Licht sehen würde und dann käme es auch zu einer „geistigen Hochzeit“. Drei Tage später konnte Anna wieder schreiben und schaffte tatsächlich ihre Diplomarbeit mit einer sehr guten Leistung.
Warum wirken innere Bilder?
Was Anna für teures Geld bei der Kartenlegerin bekommen hat, ist die Kraft, die aus inneren Bildern entspringt. Dies jedoch ist nichts mythisches, sondern eine ganz normale Funktion unseres Geistes. Dabei gibt es viele mögliche innere Bilder, auch solche, die ganz abstrakt sind und die wir wissenschaftliche Modelle nennen. Diese inneren Bilder ermöglichen die Interpretation des „Augenscheinlichen“. Dadurch sind wir der Umwelt und den „Tatsachen“ nicht mehr in dieser Weise und dieser Stärke ausgeliefert, wie wir es bisher kannten. Das innere Bild sorgt für Distanz. Der Weg zu solchen inneren Bildern führt über die Fantasie, sofern man die Fantasie, wie Edmund Husserl dies tut, als Variation des Faktischen begreift.
Technik der positiven Imagination
Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, mit inneren Bildern zu arbeiten, die man als gleichwertig ansehen kann. So sind regelmäßige Tagebucheinträge eine Form, sich eine „Gegenwirklichkeit“ aufzubauen, die trotzdem eine enge Verbindung mit der Realität hat. Auch die Verwissenschaftlichung von Problemen erzeugt solche Gegenwirklichkeiten. Wer die Kommunikation als „schwierig“ empfindet, beschäftigt sich eher mit Kommunikationstheorie, als jemand, der schon immer „gut“ kommunizieren konnte. Die einfachste Form der positiven Imagination ist allerdings der Tagtraum. Die Technik besteht darin, dass man sich zunächst ganz bewusst einen schönen Ort, einen locus amoenus, in der Vorstellung erschafft und diesen regelmäßig „aufsucht“. Stellen Sie sich also einen Raum vor, der Ihren persönlichen Wünschen ganz genau entspricht. Das kann ein behagliches Zimmer sein oder ein Küstenabschnitt einer exotischen Insel. Dies wird Ihr ganz privater Rückzugsort, den Sie aufsuchen können, so oft Sie wollen. Wann immer Sie Energie schöpfen wollen, oder eine Umgebung brauchen, in der Sie ohne Druck nachdenken können, ist dies der richtige Ort. Wichtig an dieser Technik ist, dass der Ort fest bestehen bleibt, und dass Sie ihn regelmäßig nutzen.
Der Trick eines Tagtraums: analogisches Denken
Der eigentliche Trick, sozusagen die kognitive Funktion hinter diesem Tagtraum, liegt nicht nur in der Fantasie, sondern im analogischen Denken. Das analogische Denken bildet zusammen mit der Mittel-Ziel-Analyse die grundlegende Technik für die Problemlösekompetenz. Tagträume, positive Imaginationen, ja sogar astrologische Behauptungen und esoterische Deutungen beziehen ihre wissenschaftliche Kraft aus diesem Prozess des Analogisierens. Indem sie Vergleichsmöglichkeiten entwerfen, bieten sie einen kritischen Blick auf die Realität. Sie mögen selbst nicht wissenschaftlich sein, jedoch führen sie, wenn man sie richtig anwendet, zu wissenschaftlichem Denken.
Warum wirken die Engelskarten von Diana Coopers?
Engelskarten und Engel scheinen derzeit Mode zu sein (siehe: Schutzengel – täglich unterwegs). Besonders populär sind die Karten von Diana Coopers. Betrachtet man diese unter dem psychologischen Aspekt des Analogisierens, so bilden die Engel eine Art Gegenverwirklichung zu einem realen Menschen. Es sind „Begleiter“, in die Funktionen des Schutzes und der Kraft hinein imaginiert werden. Für den Psychologen weisen sie sowohl auf die Tendenzen hin, entlang denen ein Mensch sich entwickeln sollte, als auch auf die zentralen Unsicherheiten, mit denen ein Mensch im Moment zu tun hat. Diese Tendenzen nutzen auch die Engelskarten, allerdings auf unsystematische Art und Weise.
Es ist bezeichnend, dass sich auf der Website von Diana Coopers Begriffe wie exercises (Übungen), transformations (Verwandlungen), realms (Reiche: Orte) und Ähnliches häufen. Im Prinzip funktioniert dieser ganze esoterische Bereich nicht anders als ein Training in analogen Denken. Im Unterschied dazu legen allerdings die Esoteriker die grundlegenden psychischen Funktionen, die hinter dieser Technik stecken, nicht offen. So erscheinen diese ganzen astrologischen und spirituellen Angebote als zugleich hilfreich und als fragwürdige Geschäftsmethode (siehe: Suchtgefahr durch Astro Hotlines). Und deshalb bleiben Menschen, die an Engelskarten glauben, häufig auf halbem Wege stecken.
Warum können imaginative Techniken helfen?
Imaginative Techniken sind deshalb hilfreich, weil sie analoges Denken fördern. Analoges Denken ist eine zentrale Komponente der Problemlösekompetenz und so führen imaginative Techniken zu einer besseren Lebensbewältigung. Der Zusammenhang ist allerdings nicht, wie im esoterischen Bereich häufig behauptet, direkt und kausal, sondern indirekt und auf Wahrscheinlichkeiten beruhend. Selbst ein guter Problemlöser kann immer noch an Problemen scheitern.