Sanfte Geburt in der modernen Geburtshilfe
Der französische Gynäkologe Frédérick Leboyer war der Wegbereiter einer „Geburt ohne Gewalt“. Wie steht es um die Menschlichkeit in der modernen Geburtshilfe heute?
Seit den 1990er Jahren wirbt ein Gros der Geburtsabteilungen in Österreich mit der Möglichkeit einer sanften Geburt in ihren Räumlichkeiten. „Grundsätzlich kann man auch überall sanft gebären – es braucht nur, dass die Beteiligten die emotionale Seite des Kindes verstehen und mitberücksichtigen“, erklärt Dr. Michael Adam, Vertreter der natürlichen und selbstbestimmten Geburt in Österreich, dazu.
Äußerlichkeiten – die der französische Gynäkologe und Geburtshelfer Frédérick Leboyer – Wegbereiter der „Geburt ohne Gewalt“ – ab den 1970er Jahren forderte – wie dass das Geburtszimmer in warmen Farben gehalten sein sollte, passen heute nahezu überall. Die Frau bekommt das Neugeborene, sofern es ihm gut geht, nach einer natürlichen Geburt fast immer gleich auf den Bauch gelegt. Mit dem Durchschneiden der Nabelschnur wird in der Regel etwas zugewartet. Das Baby verbleibt während des gesamten Spitalaufenthalts in der Obhut der Mutter.
Gegentrend zur sanften Geburt?
Alles heitere Wonne also? Nicht ganz! Die innere Haltung der Geburtshelfer ist im Spital nach wie vor Glücksache, es sei denn man entbindet mit einer Hebamme oder einem Arzt seines Vertrauens. Das wiederum ist nicht in jedem Haus möglich – und hat seinen Preis. Zudem zeichnet sich seit einigen Jahren wieder ein Gegentrend zur sanften Geburt ab, der gekennzeichnet ist durch ein wachsendes Bedürfnis nach Sicherheit und – technokratischer – Kontrolle. Damit Hand in Hand geht oft, dass die Intimsphäre, die die gebärende Frau braucht, um ihr Kind möglichst „menschlich“ auf die Welt zu bringen, weniger gewahrt wird. „Gerade die Intimität ist aber wichtig, um die Geburt als großes Wunder, als ein Fest erleben zu können“, hebt Geburtshelfer Adam hervor. „Darauf kann nicht oft genug hingewiesen werden!“
Sanfte Geburt mit und ohne Schmerzmitteln
Eine sanfte Geburt darf nicht mit einer schmerzfreien Geburt verwechselt werden. Wobei Adam zufolge nichts dagegen spricht, einer Frau, die ihr Kind sanft gebären möchte, Schmerzmittel zu geben. Auch wenn ein Kaiserschnitt notwendig ist, kann der Empfang des Kindes „menschlich“ gestaltet werden. Leboyer selbst geht in seinem Buch „Das Fest der Geburt“ – im Sommer 2008 im Kösel Verlag neu erschienen – nur auf natürliche Geburten ein, bei denen sich die werdenden Mütter dem Geburtsschmerz stellen. „Es wäre ein Verbrechen, den Frauen zu versprechen, dass sie nicht leiden werden“, stellt er klar. Und vergleicht die Geburt mit einem Sturm, den es zu akzeptieren gilt.
Je intensiver der Sturm der Geburt ist, desto schneller bringt er Leboyer zufolge Mutter und Kind zum Hafen, und desto fröhlicher kann daher das Herz sein. Wenn es vorbei ist, wenn sich die rasende See ausgetobt hat und der Wind nicht mehr heult, dann ist ein Moment der Stille angebracht. Mit Schweigen und Ehrfurcht wird dem Neugeborenen – Leboyer nennt es Prinz – Achtung erwiesen. Das ist, was Leboyer unter einem angemessenen Fest der Geburt versteht!
Die natürliche Geburt als Abenteuer
Die poetisch geschriebenen Bücher von Leboyer sind durchaus auch für werdende Eltern von heute, die sich auf eine natürliche, sanfte Geburt vorbereiten wollen, empfehlenswert und spannend. Die im Erstwerk von Leboyer – „Geburt ohne Gewalt“ – beschriebenen Zustände auf den Geburtsstationen in den 1970er Jahren muten freilich teilweise wie Schilderungen aus lang vergangenen Zeiten an. Was Leboyer jedoch sehr schön zu vermitteln weiß, ist dass die Geburt ein großes Abenteuer im Leben einer Frau ist, das mit einer Verwandlung einhergeht, deren Ausmaß und Tiefe überwältigen. In diesem Sinne können Leboyers Bücher helfen, die Geburt als eine wunderbare Reise, als eine Geschichte der Liebe zu erleben.
Erfahrungen mit der Leboyer-Methode
„Während meiner beiden Geburten erinnerte ich mich an Leboyer’s Zeilen und Worte“, erzählt Martina H. aus Vöcklabruck ihre Erfahrungen mit Leboyers Werken. „Es war so, als wäre er anwesend. Ich war ganz in meiner Kraft, ich wurde meiner Macht als werdende Mutter nicht ,entbunden. Gemeinsam mit den Kräften meines Körpers und denen des Kindes, mit Vertrauen und Zuversicht, erlebte ich selbst eine Neugeburt.“ Auch Michaela M. aus Bad Wörishofen ist froh, Leboyers Bücher vor der Geburt ihres Kindes gelesen zu haben. „Wir haben eine Ärztin gefunden, die nach der Leboyer-Methode entbindet“, schildert sie. „Die Wirkung ist sensationell: Unser Kind kam entspannt zur Welt – so weit das nach der Anstrengung geht. Es konnte in seinem Rhythmus ins Leben finden.“